Tränen, Panik, Schlangen von Menschen, die für Sauerstoffzylinder anstehen, und ganz viel Wut und Ärger auf die Regierung. Das sind die Bilder, die dieser Tage aus Manaus um die Welt gehen.

Die größte Stadt der Amazonasregion Brasiliens leidet wie keine unter dem Ausbruch der zweiten Welle der Corona-Epidemie im größten Land Lateinamerikas. Über 4300 Menschen sind in der Stadt bereits an Covid-19 gestorben, Spitäler sind überfüllt. Sogar aus dem Armenhaus Venezuela musste Brasilien Sauerstoff importieren.

Nur ein Bruchteil bislang geimpft

Währenddessen läuft allmählich die Impfkampagne auch in Brasilien an, obwohl Präsident Jair Bolsonaro alles darangesetzt hat, den Beginn der Immunisierung der Menschen so weit wie möglich zu boykottieren. In dem Land mit 210 Millionen Einwohnern sind bislang erst knapp 500.000 geimpft. "Wir zahlen Steuern, wir kaufen, wir halten die Wirtschaft der Stadt am Laufen, und wenn wir einmal die Hilfe der Behörden brauchen, dann bekommen wir sie nicht", sagt eine Frau in Manaus unter Tränen, als sie ihren Sauerstofftank für ihre schwer kranke Mutter aufladen lassen will, die zu Hause unter Covid-19 leidet. Die Wut auf die Regierung wächst mit jedem Tag.



Bolsonaro hat weder die Pandemie noch die Wirtschaft im Griff: Das Bruttoinlandsprodukt der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas fällt laut Prognose der Zentralbank 2021 um 4,4 Prozent. Trotz den weltweit drittmeisten Infizierten (8,8 Millionen) und den zweitmeisten Toten (216.000) tut Bolsonaro immer noch so, als sei Corona eine "gripezinha", eine kleine Grippe. Er wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die Impfung, die das Oberste Gericht vor Weihnachten faktisch für jeden Brasilianer verpflichtend machte.

Angehörige trauern um ihre an oder mit Corona Verstorbenen
Angehörige trauern um ihre an oder mit Corona Verstorbenen © (c) AFP (MARCIO JAMES)



Mediziner und Wissenschaftler kritisieren, dass die Regierung nach wie vor keinerlei Strategie habe, wie die Bevölkerung des Landes mittelfristig gegen die Infektionskrankheit geschützt werden könne. Es gebe keinerlei Zusammenarbeit der staatlichen Gesundheitsbehörden mit Ärzten und Forschern, kritisiert eine Gruppe von Experten in einem Artikel für die Zeitschrift "The Lancet". Darin heißt es, dass 150.000 Menschen hätten gerettet werden können, wenn die Regierung kooperiert und einen Impfplan hätte. Dieser fehlt nach wie vor. Epidemiologe Pedro Hallal von der Universidade Federal de Pelotas wirft der radikal rechten Regierung vor, nicht einmal "mittelmäßige" Arbeit beim Kampf gegen Corona zu machen.

Präsidentenwahl im nächsten Jahr

Es sind die Gouverneure der einzelnen Staaten, die mit den Impfungen vorangehen – und hier vor allem João Doria. Er ist Gouverneur des Bundesstaates São Paulo und einer der aussichtsreichsten Gegenkandidaten bei der Präsidentenwahl im nächsten Jahr.
Unterdessen beginnt Bolsonaro schon, das Vertrauen in die Abstimmung zu untergraben: Es könne in Brasilien ähnliches Chaos drohen wie in den USA beim "Sturm auf das Kapitol", warnte er. "Wenn wir 2022 nicht zur traditionellen Wahl mit papierenen Stimmzetteln zurückkehren, um die Abstimmung überprüfen zu können, werden wir hier ein noch größeres Problem haben."

Falls er an den Urnen verlieren sollte, liebäugelt Bolsonaro offenbar auch mit Attacken auf die Demokratie, die nach seinem Duktus dem "Establishment" zum Machterhalt diene. Seine Anhänger würden ihm Macht sichern. Zur Not auch mit Gewalt.