Kyriakos Sakellaris, 41, Kahlkopf, Dreitagebart, ockergelbes T-Shirt, hat so etwas noch nie erlebt. Es ist schon Anfang Juli, die brütende Hitze treibt ihm den Schweiß aus den Poren. Doch der feine, langgezogene Kiesstrand am Hafen in Livadia auf der Insel Tilos bleibt menschenleer. Die Sonnenschirme sind eingerollt, allein das sanfte Meeresrauschen ist zu vernehmen. 

Sakellaris schaut auf die gespenstische Kulisse."Ich bin ein von Natur aus optimistischer Mensch und bin immer noch zuversichtlich, dass in diesem Sommer auch spät etwas passieren wird", sagt Sakellaris."Wir sehen die Touristen nicht als Kunden, sondern als gute Freunde. Deshalb  kommen sie immer wieder hierher. Einige haben wir sogar im Winter in ihren Heimatländern besucht. In Schweden, in Großbritannien, in Italien oder Deutschland", fügt er hinzu. 

Mit den Stammgästen stünden die Einwohner von Tilos ständig in Kontakt - der sozialen Medien sei Dank."Sie warten nur auf die Gelegenheit, nach Tilos zu kommen. Sie sitzen auf gepackten Koffern. Es geht ihnen nicht nur darum, hier ihren Urlaub zu verbringen. Sie wollen mit ihren Ausgaben unserer Insel helfen", so Sakallaris.

Dabei bietet Tilos seinen Besuchern den etwas anderen Urlaub, abseits der Pfade. Tilos, knapp 800 Einwohner, ist eine griechische Insel in der südlichen Ägäis, nordwestlich von Rhodos gelegen. Der Naturschutz wird auf Tilos ganz großgeschrieben. Seltene Vogelarten können sich ungestört vermehren. Denn seit fast dreißig Jahren herrscht hier ein totales Jagdverbot. Einzigartig: Die letzten Elefanten in Europa lebten hier.

Das kleine Eiland, ein Wanderparadies in der Süd-Ägäis, ist die erste "grüne Insel" im Mittelmeer. Eine Photovoltaik- und Windkraftanlage deckt Tilos' Energieversorgung. Komplett. Die Überschüsse bei der Stromerzeugung werden sogar exportiert. Doch davon kann Tilos nicht leben. Tilos mit seinen 1.300 Gästebetten ist zu fast 100 Prozent vom Tourismus abhängig. 

Fest steht: Die Corona-Pandemie trifft Tilos mit voller Wucht, obgleich hier kein einziger Corona-Fall registriert worden ist. In diesem so außergewöhnlichen Sommer bleiben die Gäste auf Tilos aus. Vorerst jedenfalls. 

Kyriakos Sakellaris, der Berufsoptimist, der einen Imbiss im Hafen von Tilos betreibt, vermietet in der Reisesaison, die hier üblicherweise im April startet und erst Ende Oktober endet, zusätzlich Autos und Scooter. Sakellaris' Flotte zählt zehn Kleinwagen und 15 motorisierte Zweiräder. Eigentlich ein florierendes Geschäft. Doch diesmal ist alles anders. Sakellaris hat bisher kein einziges Fahrzeug vermietet. Ein absolutes Novum.

Trotz heißem Juliwetter: die Strände von Tilos sind menschenleer
Trotz heißem Juliwetter: die Strände von Tilos sind menschenleer © Batzoglou

Griechische Regierung stiftet Verwirrung

Griechenland legte einen glatten Tourismus-Fehlstart hin. Am Mittwoch der Vorwoche sollte es mit der Tourismussaison in Griechenland wieder losgehen. Mit komplizierten und datenschutzrechtlich fragwürdigen Reisebeschränkungen vergrätzte die griechische Regierung jedoch viele Urlauber. Ständig änderten sich die Reise-Restriktionen. Wirrwarr auf griechisch.

Das Chaos gipfelte darin, dass sich die Griechenlandurlauber vor ihrem Reiseantritt mit einer Online-Anmeldung bei den griechischen Behörden zu registrieren hatten. Das wurde erst kurz vor dem Saisonstart am 1. Juli bekannt. Die unweigerliche Folge: Viele Urlauber wußten davon nichts - und der Ärger war so sicher.

Denn nur wer als Bestätigung einen sogenannten QR-Code ausgedruckt oder auf seinem Smartphone bei sich hat, darf fortan ins Land. Dieser QR-Code ist nicht nur Voraussetzung für eine Einreise nach Hellas. Aus ihm geht auch hervor, ob der Reisende sich bei der Ankunft in Griechenland seinem Test auf das Coronavirus zu unterziehen hat.  

Das griechische Beispiel zeigte, welche Unwägbarkeiten auf Urlauber in der Corona-Ära warten können. Das Fiasko zum Saisonauftakt war zumindest in Hellas perfekt. Ob auf den Airports in Athen, Thessaloniki oder Rhodos: Nur wenige Flieger landeten. Das trifft auch Tilos, das nur mit der Fähre zu erreichen ist.   

Dabei ist kein anderes Land in Europa so abhängig vom Tourismus wie Griechenland. Laut Angaben der Athener Notenbank (TTE) besuchten 2019 genau 31,348 Millionen ausländische Urlauber Griechenland (ohne Kreuzfahrttouristen) - ein Allzeitrekord. 

Die meisten Griechenlandurlauber kamen 2019 mit 4,026 MillionenTouristen aus Deutschland. Es folgten Briten (3,499 Mio.), Italiener (1,553 Mio.), Franzosen (1,542 Mio.), Rumänen (1,378 Mio.) sowie US-Amerikaner (1,179 Mio.). Ferner reisten 583.000 Österreicher und 540.000 Schweizer 2019 nach Griechenland.

Seit dem 15. Juni durfte man wieder von bestimmten Flughäfen fernab von Hellas ohne Corona-Test und Quarantänepflicht nach Griechenland einreisen, aber zunächst nur nach Athen und Thessaloniki. Die Behörden behalten sich aber das Recht vor, stichprobenartig Corona-Tests durchzuführen. Ab dem 1. Juli sind wieder internationale Flüge zu den übrigen Flughäfen in Griechenland erlaubt, auch auf die griechischen Inseln wie zum Beispiel Rhodos, unweit von Tilos.

Nur zaghaft Neubuchungen nach Storno-Welle

Doch die Aussichten für den griechischen Tourismus sind düster. Zappenduster. Das ergab eine nun veröffentlichte Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY). Laut EY werden die Direkterlöse aus dem griechischen Tourismus in diesem Jahr wohl um zehn Milliarden Euro einbrechen. Dies gelte auch im optimistischen Szenario, so EY. 

Trete die EY-Prognose ein, würde dies im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang um knapp 60 Prozent bedeuten. 2019 beliefen sich die Direkterlöse im griechischen Tourismus auf 18,18 Milliarden Euro. Sie werden nun bestenfalls acht Milliarden Euro  betragen.    

Allein die griechische Hotelbranche mit landesweit 10.121 Unterkünften und einer Kapazität von 798.650 Betten muss im Kalenderjahr 2020 mit Einbußen in Höhe von 4,46 Milliarden Euro rechnen, so die EY-Studie.      Dabei versprach das laufende Jahr so viel. Die Frühbuchungen wiesen auf ein neues Rekordjahr im griechischen Tourismus hin. Doch dann machte das Coronavirus den Hellenen einen Strich durch die Rechnung. Die Storno-Welle ging im März los - und dauert bis heute an. 

Erst zaghaft gehen wieder Neubuchungen ein. Auch in den beliebten Touristendestinationen wie Korfu, Kreta oder Santorin machten zum Saisonstart am 1. Juli rund die Hälfte der Hotels gar nicht auf.      

Ob der Hotelbesitzer, Bäcker, Cafebesitzer oder Souvenirhändler: Auf Tilos will man in dieser verkorksten Urlaubssaison jedenfalls durchhalten - der Flaute in der Reisebranche zum Trotz. Das Motto lautet: "Wir sperren auf, auch wenn nur wenige Urlauber kommen." Tilos wartet.

So denkt auch Kyriakos Sakellaris."Wir wissen, dass wir in diesem Jahr nichts verdienen werden. Trotzdem bleiben wir hier, um unsere Gäste zu empfangen. Um sie zu bedienen, mit ihnen zu reden. Schon allein aus psychologischen Gründen, weil wir hier so wenige Einwohner sind. Für uns ist der Tourismus der gelebte Kontakt zur Außenwelt." Sakellaris' Augen funkeln, als er das sagt.