Haben Sie in den letzten Wochen einen medizinischen Crashkurs in Sachen Corona absolviert?
RUDI ANSCHOBER. Nein. Wir haben genügend Experten im Haus, wir haben auch eine Beratergruppe eingerichtet, mit denen wir Fachfragen besprechen: Was machen wir mit Großveranstaltungen? Wie schützen wir sensible Gruppen? Testen wir alle Personen oder nicht?

Sind Sie als Minister ins kalte Wasser geworfen worden?
Mich hat niemand geworfen, ich bin gesprungen.

Wie schaut ihr Alltag aus? Sind Sie rund um die Uhr im Einsatz?
Ich habe mir meine Arbeitsprinzipien bewahrt. Ich arbeite an einem Tag pro Woche von zu Hause aus. Derzeit hat sich viel auf die internationale Ebene verschoben, ich bin mit den EU-Kollegen in enger Abstimmung. Wir sitzen alle in einem Boot. Europa ist so stark wie das schwächste Glied.

Ist Italien das schwächste Glied?
Nein, aber dort ist es zum ersten Ausbruch gekommen. Ich finde es grotesk, wenn man meint, man könne ein neues Virus mit Methoden aus dem Altertum bekämpfen, indem man eine Mauer um Österreich errichtet. Entweder lösen wir das Problem gemeinsam, oder wir bekommen gemeinsam ein akutes Problem. Wie es mit Corona in Europa weitergeht, wird in Italien vorentschieden. Die Corona-Krise wird nicht in zwei Wochen vorbei sein, sondern ist ein Marathon.

Wo stehen wir jetzt? Bei Kilometer eins?
Das wissen wir nicht, weil es davon abhängig ist, welche Entwicklung das Virus nimmt. Szenario eins besagt, dass die Fälle berechenbar zunehmen, die Kurve sich abflacht und das Virus verschwindet. Szenario zwei wäre eine globale Pandemie. Szenario drei hieße, dass sich das Virus vor dem Sommer abflacht, aber im Winter zurückkehrt. Im besten Fall sind wir vor Kilometer zehn.

Wie schmal ist der Grat zwischen Besonnenheit und Hysterie?
Sehr schmal, deshalb arbeite ich faktenbasiert. Es sind die Wissenschaftler, die unsere Grundlinie vorgeben, und ich setze diese um – konsequent, engagiert und mit ruhiger Hand. Ich hielte es aus heutiger Sicht für falsch, pauschal alle Großveranstaltungen abzusagen.

Ist es nicht ein Widerspruch, wenn beteuert wird, dass die Grippe verbreiteter und gefährlicher ist, andererseits ein größeres Tamtam um Corona gemacht wird als um die Grippe?
Man kann die Krankheiten nicht gegeneinander ausspielen. Wir hatten vor drei Wochen 206.000 Grippeerkrankte, jährlich haben wir 1000 Grippetote. Wir haben einen Impfstoff, und wenig lassen sich impfen. Da müssen wir Konsequenzen ziehen und bessern werden.

Bis hin zur Impfpflicht?
Davon halte ich nichts. Wir sind eine Gesellschaft reifer Bürgerinnen und Bürger. Man muss nicht jedem alles vorschreiben. Mit dem elektronischen Impfpass werden wir die Möglichkeit erhalten, die Menschen direkt zu informieren. Bei Corona haben wir – zum heutigen Tag – ungleich weniger Infizierte, es ist aber wie bei einem Eisberg. Wir wissen, was über Wasser ist (29 Fälle), wissen aber nicht, was sich wirklich unter Wasser verbirgt. Wir haben keinen Impfstoff, keine Medikamente. Ansteckungsfähigkeit und Sterblichkeit sind deutlicher höher als bei der Grippe.

Sind rigide Schritte wie das Abriegeln von Orten vorstellbar?
Wir sind weit davon entfernt. Rechtlich könnten wir es tun. Italien hat es nur dort getan, wo 50 bis 70 Erkrankungen in einer Gemeinde aufgetreten sind.

Die Absage von Fußballspielen?
Wir entscheiden Fall für Fall. Man schaut, wo gespielt wird, woher das Publikum kommt, ob es Erkrankungen in den Gemeinden gibt. Dafür gibt es von meinem Haus "Leitlinien für die Risikobewertung von Großveranstaltungen.“

Am Anfang der Krise hatte man den Eindruck, zwischen ÖVP und Grünen gebe es einen Wettlauf um das bessere Bild?
In einer Krise geht es nicht darum, wer wie viele Sekunden in der Zib auftritt, sondern dass die Politik ihren Job macht. Das ist das Anrecht der Österreicher. Wir machen unseren Job sehr professionell, und das kann ich auch vom Innenminister sagen. Wir haben intensiv besprochen, ob wir einzeln oder gemeinsam mit der Regierungsspitze auftreten. Wir machen es ruhig, professionell, bestimmt.

Zu Beginn gab es durchaus Verwerfungen?
Nein, aber es kann bei einer Krise ein paar Minuten dauern, bis der richtige Arbeitsmodus gefunden ist.

War es ein Fehler, dass Vorgängerin Hartinger-Klein das Amt des Generaldirektors für die Öffentliche Gesundheit abgeschafft hat?
Ja, es war ein Fehler. Ich bin aber ein Mensch, der in Zukunft schaut, nicht in die Vergangenheit. Ich sehe durchaus Verbesserungsoptionen.

Haben Sie Angst?
Wovor?

Vor Corona?
Nein.

Was machen Sie vorbeugend?
Ich versuche mein Immunsystem zu stärken, indem ich bewusst auf meine Ernährung und die Bewegung schaue. Ich bin in der Zwischenzeit ein begeisteter Händewascher, was ich früher nicht so was. Vielleicht lernen wir auch da was.

Horten Sie Lebensmittel?
Nein, aber ein paar Nudeln, Sugo, Reis, Wasser in der Speis’ zu haben, ist sicher vernünftig.