Wer es sich leisten kann, hat der Stadt längst den Rücken gekehrt. Die Verbliebenen nutzen die ersten Stunden des Tages für etwas Sport am berühmten Hoan-Kiem-See im Zentrum Hanois. Zeitweise weht dort eine leichte Brise, aber kühl ist sie nicht. Es ist Mitte April in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi und wieder beginnt ein unerträglich schwüler Tag unter der Smogglocke der Drei-Millionen-Metropole Hanoi. Über den Klimawandel wird dort längst nicht mehr philosophiert.

Klimatologisch dauert der Winter in Nordvietnam bis in den April, doch die von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) angeführte österreichische Besuchsdelegation bekam dieser Tage in Hanoi gar nichts davon mit. Die vietnamesische Hauptstadt glich einem gigantischen Treibhaus, bei hoher Luftfeuchtigkeit sanken die Temperaturen selbst nachts kaum unter 30 Grad.

Einheimische berichten von einer deutlichen und nachhaltigen Veränderung des Wetters in den vergangenen Jahren. Kalt seien die Winter längst nicht mehr, während es von April bis November ohne Klimaanlage nicht auszuhalten sei. "Vietnam ist das Land, das am stärksten vom Klimawandel betroffen ist", sagt der gebürtige Deutsche Christian Oster, der seit mehr als zwei Jahrzehnten in dem südostasiatischen Land lebt und sich dort als Reiseführer betätigt.

Nach einer Studie von französischen und vietnamesischen Wissenschaftern ist die Durchschnittstemperatur im Land in den vergangenen vier Jahrzehnten jeweils um 0,2 Grad gestiegen. Bis zum Ende des Jahrhunderts wird ein weiterer Anstieg von 1,3 bis 4,2 Grad Celsius erwartet, im subtropischen Norden des Landes wird er stärker ausfallen.

Flutgefahr im Mekong-Delta

Der steigende Meeresspiegel könnte zudem das Mekong-Delta überfluten, in dem 17 Millionen Menschen leben. Das Delta liegt nämlich nur um 80 Zentimeter über dem Meeresspiegel, der bis Ende des Jahrhunderts um bis zu 84 Zentimeter steigen könnte. Selbst wenn es nicht so schlimm kommt, drohen verheerende Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Das Vordringen von Meerwasser könnten 40 Prozent des Gebiets, in dem die Hälfte des vietnamesischen Reises produziert wird, versalzen.

In der Studie werden auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels in Vietnam beziffert. Selbst wenn das aktuelle Klimaziel - ein Anstieg der durchschnittlichen Welttemperatur um 1,5 Grad - erreicht werden sollte, wird der Klimawandel die vietnamesische Wirtschaft 4,5 Prozent an Wachstum kosten, errechnete das vom Franzosen Frédéric Thomas angeführte Expertenteam.

Die Alarmglocken schrillen

Berechnungen wie diese lassen bei der kommunistischen Regierung in Hanoi die Alarmglocken schrillen, ist das anhaltende Wirtschaftswachstum doch die zentrale Legitimationsquelle des Ein-Parteien-Regimes. "Der Gesellschaftsvertrag lautet: Die Partei sorgt für Prosperität, dafür fordert man keine bürgerlichen Rechte ein", sagt ein westlicher Experte im Gespräch in Hanoi. War Vietnam in den 1980er-Jahren noch unter den ärmsten Ländern der Welt, leben heute offiziell nur noch zwei Prozent der Vietnamesen in Armut. In zwei Jahrzehnten hat sich die Wirtschaftskraft des Landes auf 410 Milliarden Dollar verzehnfacht und erreicht damit schon fast das Niveau Österreichs.

Diese Erfolgsgeschichte will man nicht durch Klimaprobleme gefährden. Während andere Schwellenländer bei Klimakonferenzen auf der Bremse stehen, preschte Vietnam im Vorjahr bei der COP26 mit einer Selbstverpflichtung vor: Bis zum Jahr 2040 will das Land den Ausstieg aus Kohlekraft vollzogen haben, bis zum Jahr 2050 klimaneutral sein.

Milliardenaufträge für Energiewende

Für die Ankündigung gab es international viel Lob - wohl auch deshalb, weil sich nun viele westliche Technologieführer Milliardenaufträge für die Energiewende erhoffen. Nach Schätzungen der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) wird Vietnam jährlich 11 bis 14 Milliarden Dollar (10,03 bis 12,76 Mrd. Euro) für die Umstellung seiner Energieinfrastruktur ausgeben müssen, um die selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Außenminister Schallenberg berichtete nach Gesprächen mit vietnamesischen Ministern, dass das Land "enorme" Investitionen in Wasser-, Wind- und Sonnenkraftwerke plane.

Derzeit entfällt ein Drittel der vietnamesischen Stromproduktion auf die klimaschädliche Kohle. Diesen Anteil zu ersetzen, ist eine Herausforderung, zumal der Strombedarf jedes Jahr um zehn bis zwölf Prozent steigt. Bei dieser Herkulesaufgabe ist Vietnam auch österreichische Hilfe sehr willkommen. Der vietnamesische Premier Pham Minh Chinh äußerte gegenüber Schallenberg den Wunsch nach einer verstärkten bilateralen Kooperation unter anderem in den Bereichen Energiewende und Kreislaufwirtschaft.

Deals für Andritz und Raiffeisen

Schallenberg konnte mit zwei konkreten Abschlüssen nach Hause reisen. Andritz Hydro sicherte sich einen Auftrag für die Modernisierung von Pump- und Speicherkraftwerken, während die Raiffeisen Bank InternationaI (RBI) einen Deal über die Finanzierung eines Wasserkraftwerks abschloss.

In der Klimapolitik liegen EU und Vietnam auf einer Linie. Für beide habe der Grüne Wandel "dieselbe oberste Priorität", sagte der EU-Delegationsleiter in Hanoi, Giorgio Alibert, im Gespräch mit österreichischen Journalisten. "Wir versuchen, an einer gemeinsamen Politik zu arbeiten", berichtete der Diplomat. Diesbezüglich baut er auch auf die Vorbildwirkung von Unternehmen. Konkret nannte der den dänischen Spielzeughersteller Lego, der in Vietnam eine große Fabrik bauen möchte, dies aber von der Verfügbarkeit erneuerbarer Energie abhängig macht. Dies sei ein "Hebel" Europas in Vietnam und auch ein "gutes Beispiel dafür, wie der grüne Wandel Investitionen hier her bringen kann", so Alibert.