Bei dem Brand im Teheraner Gefängnis Evin am Samstagabend sind vier Menschen getötet und 61 verletzt worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur IRNA am Sonntag. Laut Justiz wurde "nach einem Streit zwischen Häftlingen" in einem Werkraum des Gefängnisses Feuer gelegt. Zeugen zufolge waren aus dem Gebäude in der iranischen Hauptstadt Schüsse zu hören. Evin ist wegen der dort inhaftierten politischen Gefangenen und Kritik von Menschenrechtsgruppen international bekannt.

Die Gefängnisleitung sprach von einer kurzfristigen Meuterei, die Lage sei wieder unter Kontrolle. "Hooligans und Randalierer" hätten zudem eine Auseinandersetzung mit den Gefängniswärtern begonnen und dann im Textillager einen Brand entfacht. Die Feuerwehr habe ihn aber bereits gelöscht. Laut IRNA waren Gefängnisinsassen beteiligt, "die wegen Finanzdelikten und Diebstahls verurteilt worden waren". Die Nachrichtenagentur TASNIM meldete, die wegen Sicherheitsvergehen Inhaftierten seien nicht an dem Vorfall beteiligt gewesen.

Abgeriegelte Straßen, Schüsse, Tote

Den Zeugen zufolge waren die Straßen zum Gefängnis abgeriegelt und Krankenwagen und Sondereinsatzkräfte zu sehen. Es seien einige Zeit noch Schüsse zu hören und Personen am Dach der Haftanstalt zu sehen gewesen. Die Familien von Inhaftierten hätten sich vor dem Gebäude versammelt. "Die Menschen in den benachbarten Gebäuden skandieren aus den Fenstern 'Tod Khamenei'", sagte ein weiterer Zeuge unter Verweis auf das geistliche Oberhaupt des Iran, Ayatollah Ali Khamenei.

Zuvor hatte die Tageszeitung "Shargh" via Twitter von den Vorfällen berichtet. Unter anderem wurde auch ein Video verbreitet, das jedoch nicht verifiziert werden kann. Die Anti-Regierungs-Proteste gingen indes unvermindert weiter. Im Evin-Gefängnis im Norden Teherans sitzen nicht nur zahlreiche politische Gefangene, sondern auch Demonstranten, die dort wegen ihrer Teilnahme an den systemkritischen Protesten der vergangenen vier Wochen inhaftiert sind.

Die USA äußerten sich besorgt über die dramatische Lage. "Wir verfolgen die Berichte aus dem Ewin-Gefängnis mit großer Dringlichkeit", schrieb der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, am Samstag (Ortszeit) auf Twitter. "Iran trägt die volle Verantwortung für die Sicherheit unserer zu Unrecht inhaftierten Bürger, die unverzüglich freigelassen werden sollten."

In den deutschen Städten Berlin, Frankfurt am Main und Hamburg kamen am Samstagabend mehrere Menschen zu spontanen Demonstrationen zusammen. In der Hauptstadt versammelten sich nach Angaben der Polizei kleinere Menschengruppen vor dem Auswärtigen Amt und vor der iranischen Botschaft. Auch in Frankfurt versammelten sich am späten Abend spontan mehrere Menschen vor dem iranischen Generalkonsulat. Die Proteste verliefen friedlich und ruhig. In Hamburg lief die Versammlung bis in die frühen Morgenstunden. Die Teilnehmer seien aufgeregt, aber friedlich geblieben, teilte die Polizei mit. Sie hätten Solidarität mit den politisch Inhaftierten im Iran gefordert.

Der aus dem Ausland operierende Nationale Widerstandsrate des Iran (NCRI/NWRI), auch bekannt als Volksmujaheddin, rief in einer Aussendung die Bevölkerung und die Jugend in Teheran auf, den Familien zu Hilfe zu eilen, die sich vor dem Evin-Gefängnis versammelt haben, um das Leben der Gefangenen zu retten. Das Regime müsse daran gehindert werden, "die Gefangenen zu massakrieren". Zudem seien Reaktionen von UNO und EU gefordert, hieß es seitens der Volksmujaheddin.

Ob die Meuterei im Zusammenhang mit den anhaltenden systemkritischen Protesten im Land stand, war vorerst unklar. Trotz des gewaltsamen Vorgehens der Behörden gegen Demonstranten und massiven Einschränkungen beim Internetzugang gingen die fünfte Woche in Folge zahlreiche Menschen auf die Straße. Bei einer Demonstration an der Shariati-Universität in der Hauptstadt Teheran riefen Frauen ohne Kopftücher Slogans wie "Die Mullahs sollen sich verziehen!", wie ein im Internet verbreitetes Video zeigte. Weitere Proteste gab es etwa in Isfahan und Kermanshah.

In der Stadt Hamedan, westlich von Teheran, wurden aus einer johlenden und pfeifenden Menge Wurfgeschosse auf Sicherheitskräfte geschleudert, wie von der Nachrichtenagentur AFP geprüfte Aufnahmen zeigten. Laut dem Onlinedienst 1500tasvir riefen junge Frauen an einer Hochschule in Teheran "Freiheit, Freiheit, Freiheit", während sie ihre Kopftücher in der Luft schwenkten. Der Online-Kanal, der Proteste und Polizeiübergriffe dokumentiert, berichtete zudem von streikenden Ladenbesitzern in der Provinz Kurdistan und in Westaserbaidschan.

"Stimmten regierungsfeindliche Slogans an"

Angaben der in Norwegen ansässigen Menschenrechtsorganisation Hengaw zufolge begannen Schülerinnen im Dorf Ney in der Provinz Mariwan ihre Proteste, indem sie "Feuer legten und regierungsfeindliche Slogans anstimmten". Wie der Online-Monitor NetBlocks berichtete, wurden Demonstranten in auf Twitter geteilten Videos auf den Straßen der nordwestlichen Stadt Ardabil gesehen. Online verbreitetes Filmmaterial zeigte zudem demonstrierende Studenten an Universitäten in Teheran, Isfahan und Kermanschah.

Als Reaktion auf die Proteste rief der Islamische Koordinationsrat für Entwicklung die Menschen im Iran dazu auf, "ihre revolutionäre Wut gegen Aufruhr und Randalierer auszudrücken". Wie ein Journalist der Zeitung "Shargh" berichtete, wurden zudem "Pensionäre" der Revolutionsgarden wegen der "aktuell heiklen Situation" gebeten, am Samstag zusammenzukommen.

Nach IRNA-Angaben sagte ein Kommandant bei dem Treffen, drei Mitglieder der Basij-Miliz seien seit Beginn der Proteste getötet und 850 weitere verletzt worden.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb nach einem Telefongespräch mit dem iranischen Außenminister Hossein Amir-Abdollahian im Kurzbotschaftendienst Twitter, die Menschen im Iran hätten das Recht, "friedlich zu protestieren und die Grundrechte zu verteidigen". Amir-Abdollahian hatte laut einer am Samstag veröffentlichten offiziellen Erklärung in dem Telefonat am Freitag den Europäern empfohlen, "das Thema mit einem realistischen Ansatz zu betrachten".

Wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen Demonstranten im Iran hatten die EU-Länder sich am Mittwoch auf neue Sanktionen gegen Teheran geeinigt. Laut Diplomatenkreisen sollen die EU-Außenminister die Strafmaßnahmen am Montag bei einem Treffen in Luxemburg offiziell beschließen.

Die Proteste im Iran waren durch den Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini ausgelöst worden. Die 22-Jährige war am 16. September in Teheran gestorben, nachdem sie dort drei Tage zuvor von der Sittenpolizei wegen des Vorwurfs festgenommen wurde, ihr Kopftuch nicht den Vorschriften entsprechend getragen zu haben.

Bei den seitdem andauernden Protesten sind nach Angaben der in Norwegen ansässigen Menschenrechtsorganisationen Iran Human Rights (IHR) bisher mindestens 108 Menschen getötet worden, darunter 28 Kinder.