Der letzte Funkspruch klang alarmierend. „Die schießen“, konnte die Polizeistreife noch am frühen Morgen durchgeben. Dann riss der Kontakt zur Einsatzzentrale ab. Als Polizisten später zum Einsatzort nahe Kusel im westlichen Rheinland-Pfalz kamen, fanden sie zwei Kollegen tot auf. Die Opfer: ein 29-jähriger Oberkommissar und eine 24-jährige Studentin im Polizeianwärterdienst. Beide erschossen bei einer routinemäßigen Kontrolle an einem Waldparkplatz.

Die Fahnder konnten rasch zugreifen – einer der beiden Verdächtigen hatte seinen Ausweis und seinen Führerschein auf der Straße verloren. Noch Montagabend wurden zwei Männer festgenommen, darunter ein ehemaliger Bäcker (38) mit einem Handel für Wildprodukte. Gegen ihn und den anderen, 32-jährigen Tatverdächtigen, wurde Haftbefehl wegen gemeinschaftlichen Mordes in zwei Fällen und wegen Wilderei erlassen. Sie sitzen in Untersuchungshaft. Der Versuch, Wilderei zu verdecken, ist auch das von der Staatsanwaltschaft vermutete Motiv für die Taten.



Die Tat löste weit über die Landesgrenzen hinaus Entsetzen aus. „Diese Tat erinnert an eine Hinrichtung und zeigt, dass die Polizei jeden Tag ihr Leben für unsere Sicherheit riskiert“, so Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer zeigte sich entsetzt: „Es bestürzt mich sehr, dass zwei junge Menschen im Dienst ihr Leben verloren.“



Tödliche Übergriffe auf Polizisten sind in Deutschland eher selten. Bis zur fatalen Verkehrskontrolle am Montag verloren seit 1945 hierzulande insgesamt 14 Beamte im Dienst ihr Leben durch Gewalt. „Das ist der Albtraum eines jeden Menschen, der sich dazu entscheidet, Polizist oder Polizistin zu werden“, sagt Sabrina Kunz, Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Rheinland-Pfalz.

Aber auch Kunz kennt die aktuellen Zahlen: Die gewaltsamen Übergriffe auf Polizisten in Deutschland steigen. Laut Bundeskriminalamt (BKA) ist im Jahr 2020 mit 38.960 Fällen ein Anstieg um 0,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet worden. Dabei seien 84.831 Polizistinnen und Polizisten Opfer von Gewalttaten geworden – vom Flaschenwurf bis zum Mordversuch. Die Zahl der Opfer sei damit um 5,9 Prozent gestiegen, im Jahr 2019 hatte der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr noch 1,2 Prozent betragen, so die offizielle Statistik.



Besonders auffällig laut BKA: Der „sprunghafte Anstieg“ von Polizisten, die Opfer von versuchten und vollendeten Tötungsdelikten wurden. Insgesamt seien bei 63 Mord- und Totschlagdelikten 114 Polizisten als Opfer gezählt worden. In der Statistik auch ein Mord. „Bei einer routinemäßigen Verkehrskontrolle morgens um 4.20 Uhr wird geschossen. Das ist etwas, auf das Sie sich nicht vorbereiten können“, sagte Polizeigewerkschafterin Kunz.

Querdenker-Szene macht Sorgen

Vor allem die „Querdenker“-Szene macht der Polizei zu schaffen. Experten beobachten eine schleichende Radikalisierung. Zwei Typen macht der Soziologe Oliver Nachtwey aus, der Corona-Aktivisten in Deutschland untersucht hat: „Antiautoritäre Innovatoren“ aus gesicherten Milieus, die sich gegen staatliche Maßnahmen wenden. Und „regressive Rebellen“ aus prekären Verhältnissen und zerrütteten Familienstrukturen, die sich gefühlt schon seit den Hartz-IV-Reformen im Dauerwiderstand gegen die Obrigkeit wähnen.

Seit dem zweiten Lockdown im Dezember 2020 registrieren Beobachter steigende Gewaltbereitschaft unter Corona-Demonstranten. Polizeigewerkschafterin Sabrina Kunz rief Corona-Gegner nach der Tat dazu auf, im Raum Kaiserslautern auf ihren montäglichen Protest zu verzichten. Sie erntete dafür teils nur Hohn. Im in rechten Kreisen beliebten Messengerdienst Telegram wurde die tödlichen Taten sogar begrüßt.

Einer, der nun im Saarland Festgenommenen im Fall des Polizistenmordes war Bäcker. Nach der Insolvenz seines Unternehmens hielt es sich mit dem Handel von Fleisch aus der Jagd über Wasser. Die getöteten Polizisten trugen bei der Kontrolle Uniform, sie waren aber mit einem Zivilfahrzeug unterwegs. Ihnen war bei der Kontrolle totes Wild im Kofferraum des überprüften Kastenwagens aufgefallen. Vermutlich hatten die mutmaßlichen Täter auch deshalb Waffen zur Hand. Ob legal mit Jagdschein oder illegal wird derzeit geprüft.

Die deutschen Behörden hatten den Zugang zu Waffen nach den tödlichen Amokläufen von Erfurt (2002) und Winnenden (2009) stark beschränkt. Nach den tödlichen Schüssen an der Universität Heidelberg in der Vorwoche war die Debatte aber erneut aufgekommen. Der Schütze, ein 18-jähriger Student, hatte sich die Waffen in Österreich besorgt. Er richtete sich nach der Tat mit einer Toten und drei Verletzten selbst. In seiner letzten Unterkunft in einem Hotel in Wien fanden die Ermittler noch eine Pistole. Der Schütze hatte zur Schulzeit Kontakte zur rechtsextremen Bewegung „Der III. Weg“. Auch hier dauern die Ermittlungen zu den Hintergründen noch an.