Papst Franziskus empfing am Freitag im Vatikan die Mitarbeiter der Glaubenskongregation zur Audienz. Über den Paukenschlag, der am Vortag aus München zu hören war, verlor der Papst dabei kein Wort. Er erinnerte daran, dass er erst kürzlich das kirchliche Strafrecht habe überarbeiten lassen, um „die Effektivität der Justiz“ zu erhöhen. Über das viel wesentlichere Thema schwieg der Papst. Die von der Erzdiözese München und Freising beauftragten Rechtsanwälte hatten am Vortag in einem Gutachten seinen Vorgänger Benedikt XVI. als früherem Erzbischof von München Fehlverhalten in vier Fällen beim Umgang mit mutmaßlichen Missbrauchstätern im Münchner Klerus attestiert und den emeritierten Papst der Unwahrheit bezichtigt.

Franziskus sagte dazu kein Wort, dabei hatte er vergleichbare Studien, etwa aus dem vergangenen Herbst in Frankreich, deutlich kommentiert. Die Münchner Gutachter waren außerdem zu dem Schluss gekommen, zwischen 1945 und 2019 seien mindestens 500 Kinder und junge Erwachsene Opfer sexuellen Missbrauchs durch Mitglieder des Münchner Klerus geworden, auch hierzu schwieg Franziskus, der oft von „null Toleranz“ oder „Schande“ in diesen Zusammenhängen spricht. Vatikansprecher Matteo Bruni gab nur an, der Heilige Stuhl sehe sich verpflichtet, dem Gutachten „gebührende Aufmerksamkeit“ zukommen zu lassen. Man werde in den folgenden Tagen „Einsicht in den Text nehmen und in der Lage sein, ihn im Einzelnen zu prüfen“. Bruni äußerte zudem „tiefes Bedauern über den Missbrauch von Minderjährigen durch Kleriker“ seitens des Heiligen Stuhls.

Nicht nur in der deutschen Abteilung des Staatssekretariats, auch im Vatikan-Kloster Mater Ecclesiae, auf der Rückseite des Petersdoms, wurde am Freitag der 1200 Seiten lange Bericht samt Anlage-Bänden studiert. Erzbischof Georg Gänswein, Privatsekretär des emeritierten Papstes, hatte das am Vortag angekündigt. Benedikt, 94 Jahre alt, werde „den sehr umfangreichen Text mit der nötigen Sorgfalt studieren und prüfen“. Der emeritierte Papst drücke seine Scham und Bedauern aus „über den von Klerikern an Minderjährigen verübten Missbrauch“ und erneuere „seine persönliche Nähe und sein Gebet für alle Opfer“.

Die fromme Stellungnahme stand im Kontrast mit der Einlassung Benedikt XVI., der den Gutachtern im Dezember eine 82-seitige Stellungnahme zukommen hatte lassen. Die Gutachter qualifizierten sie als „unglaubwürdig“. Die Antworten des früheren Erzbischofs läsen sich „wie eine Verteidigungsschrift, mit der nur das zugegeben werden soll, was auch anhand der Akten eindeutig belegbar ist“. In allen ihm vorgehaltenen Fällen bestreitet Benedikt XVI. seine Verantwortung.

Insbesondere im Fall Peter H. stellen die Anwälte Ratzingers Stellungnahme infrage. Der Priester sollte 1980 als Missbrauchstäter zwecks Therapie in die Erzdiözese München-Freising versetzt werden. Er wurde in der Folge wieder straffällig. Im Hinblick auf die Ordinariatsrats-Sitzung am 15. Januar 1980, in der sein Gesuch gebilligt wurde, gibt Ratzinger an, nichts von der Vorgeschichte des Priesters gewusst zu haben und gar nicht anwesend gewesen zu sein. Die Gutachter hingegen legten ein Sitzungsprotokoll vor, aus dem hervorgeht, dass Ratzinger sehr wohl in der Sitzung anwesend war. Seine Einlassungen seien „unglaubwürdig“. Ratzinger sei Teil einer „Kultur des Wegsehens und Verharmlosens“.