Spektakuläre Pläne für den Bau eines gut 40 Kilometer langen Tunnels zwischen der britischen Provinz Nordirland (Larne) und Schottland (Stranraer) bzw. dem Rest des Vereinigten Königreichs werden Medienberichten zufolge konkreter. Entsprechende Vorschläge der Bahnindustrie würden derzeit geprüft, berichteten zuletzt die Zeitungen "Sunday Times" und "Sunday Telegraph". Bereits im März könnnte es eine Vorentscheidung geben. Kolportierter Kostenpunkt? Etwa zehn Milliarden Pfund. Das ist eine Menge Geld in Brexit-Britannia - könnte das bröckelnde Königreich jedoch auf gewisse Weise neu zusammenkitten.

Dass Boris Johnson ein großer Befürworter des Vorhabens ist und es bereits 2018 ins Gespräch brachte, stimmt Kritiker nicht unbedingt zuversichtlicher: Der renommierte britische Politologe und Wirtschaftswissenschaftler Simon Griffiths moniert im Interview mit der Kleinen Zeitung, dass der Premierminister ein Meister darin sei, letztlich nie umgesetzte Großprojekte anzukündigen. Als Beispiel erwähnt er den den Utopie gebliebenen "Insel-Flughafen" in der Themse-Mündung, den Johnson in seiner Zeit als Londoner Bürgermeister (2008-2016), propagierte.

Der geplante Verlauf des unterseeischen Tunnels
Der geplante Verlauf des unterseeischen Tunnels © Kleine Zeitung/Silke Ulrich

Grundsätzlich schätzt Griffiths einen Tunnel zwischen Schottland und Nordirland - mittlerweile von der Öffentlichkeit "Boris Burrow" ("Boris-Bau") genannt - als astronomisch kostspielig ein. Der britische Schottland-Minister Alister Jack hatte vor knapp einem Jahr festgehalten, die Röhre könne bis 2030 fertiggestellt sein. Griffiths hält das für unrealistisch: Als Bauzeit wären vielmehr Jahrzehnte einzuplanen, denn auch logistisch sei das Vorhaben schwierig umzusetzen: Im betroffenen Meeresgebiet werde noch massenweise Weltkriegs-Munition vermutet. Eine Brücke ist andererseits Utopie, zumal diese ob des notorisch rauen Wetters über der Irischen See bis zu 100 Tage pro Jahr geschlossen sein müsste.

Dr. Simon Griffiths
Dr. Simon Griffiths © www.gold.ac.uk

Warum dann die Skepsis, was einen Tunnel anbelangt? "Vor allem würde ein Tunnel nicht das Problem einer 'De-facto-Zollschranke' zwischen Großbritannien und der irischen Insel nach dem Brexit lösen", ergänzt Griffiths. Denn: Die Lösung zwischen der Europäischen Union und Großbritannien, wonach die Zollgrenze der beiden frisch entzweiten Wirtschaftszonen unter gar keinen Umständen über Land verlaufen durfte, ist kaum praktikabel. Nordirlands Infrastrukturministerin Nichola Mallon ließ Johnson ausrichten, er möge sich weniger auf "Tory-Glamour-Projekte" konzentrieren.

Johnsons eigentliche politische Motivation ist für Griffiths klar: Der Vorschlag sei ihm wichtig, zumal in seiner Partei die Befürchtung besteht, dass der Brexit die Verbindung zwischen Nordirland und Großbritannien schwächte - und andererseits jene zwischen Belfast und der Republik Irland stärkte. "Die Botschaft: Wir wollen das Band zwischen den einzelnen Teilen des Vereinigten Königreichs wieder stärken. Das könnte ankommen, egal wie unwahrscheinlich die Umsetzung des Tunnelprojekts letztlich auch ist." Gegenwind kommt indes auch vom Industrieverband CBI: Das Projekt bedeute eine "potenziell teure und ineffiziente Nutzung knapper öffentlicher Ressourcen".

Internationale Beispiele gibt es - etwa den stolze 54 Kilometer langen Seikan-Tunnel in Japan, der die Hauptinsel Honshū mit der nördlich davon gelegenen Insel Hokkaidō verbindet. Außerdem gibt es das "Fehmarnbelt"-Projekt zwischen Dänemark und Deutschland, das nach vielen Streitigkeiten und höchstrichterlicher Entscheidung vom vergangenen November nun doch umgesetzt werden darf: Der 18 Kilometer lange Tunnel wird unterseeisch die norddeutsche Insel Fehmarn und ihren Hafen Puttgarden mit Rodby auf der dänischen Insel Lolland verbinden. Für gut sieben Milliarden Euro soll es bis 2029 vier Autospuren und eine zweigleisige Eisenbahnverbindung geben.

Als in Europa bereits umgesetztes Vorbild soll der Eurotunnel dienen, der Großbritannien bereits seit 1994 mit dem Kontinent verbindet. Die Betrieber der Zugverbindung unter dem Ärmelkanal ist in der Corona-Pandemie unterdessen in erherbliche Schwierigkeiten geraten: Die "Eurostar"-Betreibergesellschaft kämpft nach eigenen Angaben ums Überleben, seit der Betrieb in der Coronavirus-Pandemie deutlich eingeschränkt wurde. Die Fahrgastzahlen brachen um 95 Prozent ein.