Am Tag nach den tödlichen Anschlägen von Hanau war die Zuordnung eindeutig. Von "Massenmord" sprach die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", von "Terror" die "Bild". Innenminister Horst Seehofer (CSU) bestätigte die mediale Einschätzung. Von einem "eindeutig rassistisch motivierten Terroranschlag", sprach Seehofer. Es sei deutlich, dass die Gefährdungslage durch Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus hoch sei.

Nur einer wollte sich dieser Analyse nicht anschließen: Alexander Gauland, Ehrenvorsitzender der AfD, sah in der Ermordung von neun Menschen mit Migrationshintergrund in Hanau durch einen 43-jährigen Sportschützen allein ein "Verbrechen". Einen Kriminalfall. Mehr nicht. Eine merkwürdige Einschätzung im Land der Täter. Sie passt in das verharmlosende Bild, das die AfD generell zeichnet. Den Massenmord an den Juden in Europa schätzt Gauland als "Vogelschiss" in der Geschichte ein. Der Thüringer AfD-Frontmann Björn Höcke fordert eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad". Und im bayerischen Landtag verweigerte ein AfD-Abgeordneter die Ehrung für den 2019 mutmaßlich von einem Rechtsterroristen ermordeten CDU-Politiker Walter Lübcke.



SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz. Der Grüne Cem Özdemir, selbst von Rechten mit dem Tode bedroht, nannte die Partei den "politischen Arm des Hasses". Und so diskutiert Deutschland nicht nur über die Anschläge von Hanau, sondern auch über die Verantwortung für die politische Klimaveränderung im Land. Die Bundesrepublik wollte lange Zeit nicht erkennen, was sich am rechten Rand entwickelte. Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß glaubte noch 1979, man solle rechte Gesinnungsleute "spazieren gehen, in Ruhe lassen".



Mit ähnlich relativierenden Worten hatte schon der nationalreaktionäre Weltkriegsveteran Erich Ludendorff seine Teilnahme am Putschversuch an Hitlers Seite auf der Münchner Feldherrnallee 1923 erklärt. Nach 1945 galt eine gewisse Abgrenzung gegenüber ganz Rechtsaußen. Nationalliberale, Protestantisch-Reaktionäre, bürgerlich Nationalkonservative wurden eingebunden in verschiedene politische Kräfte. Erst Zauberlehrling Bernd Lucke ließ 2013 mit Gründung der AfD den Geist aus der Flasche. Unter dem Siegel der Anti-Euro-Partei führte die AfD die zersprengten Teile wieder zusammen. Schon bald setzte ein Radikalisierungsprozess ein – ein wenig angestaubte Demokratiekritik, viel völkischer sogenannter Ethnopluralismus.

Gut lässt sich der Radikalisierungsprozess bei Gauland erkennen. Sein Redenschreiber wollte in den Anschlägen von Hanau nur "Revierverhalten" als Reaktion auf die multikulturelle Gesellschaft erkennen. Bloßes Instinktverhalten also. "Wir werden sie jagen", hatte Gauland nach dem Einzug der AfD in den Bundestag vor drei Jahren versprochen. Wie bitterernst er das meinte, beginnt Deutschland nun zu begreifen.

In Österreich betonte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), dass "freie Demokratie nicht kranken Ideologien überlassen werden dürfe". Wichtig sei die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, um Radikalisierung an den Rändern zu verhindern. "Wir müssen gegen alle Extreme kämpfen. Egal ob rechtsextrem, islamistisch oder von links. Dort, wo sich radikale Gesinnungen manifestieren, müssen wir entschieden auftreten, um unsere demokratische Gesellschaft zu stärken."