Gleich mehrfach nehmen Journalisten im internationalen Handelszentrum in Moskau Anlauf für die Frage aller Fragen an Kremlchef Wladimir Putin. Sie wollen höflich und vorsichtig wissen, wie es nach 2024 weiter geht. Dann läuft die Amtszeit des Präsidenten aus, der vor 20 Jahren erstmals das Zepter der Macht in Russland übernahm. Und was dann? Schon einmal hat er mit Premier Dmitrij Medwedew das Amt getauscht. Plant Putin das wieder? Was hat er vor? Will er eine "weißrussische Lösung" - oder gar die Verfassung ändern? Das sind Fragen, die zuletzt viel diskutiert wurden in Russland, auch wenn Kremlsprecher Peskow diese immer wieder abwimmelt.

Putin gibt seinem Land an diesem Donnerstag ein Rätsel auf, in dem er sagt, dass bei der Formulierung im Grundgesetz zu den zwei Amtszeiten der Zusatz "hintereinander" gestrichen werden könne. Also zwei Amtszeiten. Punkt. Meint er es so? Auch auf Nachfragen wird nicht klar, was Putin damit meinte.

Während seiner mehr als vierstündigen jährlichen Pressekonferenz kündigte er eine mögliche Verfassungsänderung an, die die Amtszeit des russischen Staatsoberhaupts auf zwei Legislaturperioden begrenzen könnte. Im Falle einer solchen Anderung könnte Putin, der sich in seiner vierten Amtszeit befindet, bei der Wahl im Jahr 2024 nicht mehr als Präsident kandidieren.

Ließ Medwedew den Vortritt

Die russische Verfassung sieht vor, dass ein Präsident nicht mehr als zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten verrichten darf. Putin nutzte in der Vergangenheit das Wort „aufeinanderfolgend“ in der Verfassung zu seinen Gunsten: Nach zwei Amtszeiten als Staatschef ließ er im Jahr 2008 seinem Vertrauten Dmitri Medwedew den Vortritt bei der Präsidentschaftskandidatur, um vier Jahre später erneut selbst als Staatschef zu kandidieren. Die vier Jahre dazwischen amtierte er als Premier.

Passus könnte gestrichen werden

Vor der versammelten Presse in Moskau sagte Putin nun über seine politische Karriere: „Euer bescheidener Diener hat zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten verrichtet, ist dann zurückgetreten und hatte durch die Verfassung das Recht, ins Präsidentenamt zurückzukehren.“ Einige russische Politikwissenschaftler und Aktivisten lehnten diese Regelung jedoch ab, fügte Putin hinzu. „Vielleicht“ könne das Wort „aufeinanderfolgend“ künftig aus der Verfassung gestrichen werden, sagte Putin weiter.

Viele russische Journalisten sahen in der Äußerung einen eindeutigen Hinweis auf ein nahendes Ende der Ära Putin. „Falls irgendjemand Zweifel hatte, ob der Chef eine weitere Amtszeit als Präsident anstrebt: Wird er nicht“, schrieb eine bestens vernetzte Journalistin im Kurzbotschaftendienst Twitter.

Der 67-Jährige muss zwar immer wieder einräumen, dass es immer noch jede Menge Probleme in Russland gebe. Er macht aber auch deutlich, dass er die Lösung ist. Während Putin bei der Frage der Machtübergabe einmal mehr unverbindlich bleibt, zieht er unterm Strich eine selbstzufriedene Bilanz.

Militär wieder stark und modern

Das Militär sei im Vergleich zu Sowjetzeiten wieder stark und modern. Die Auslandsschulden seien gering. Und es gebe weniger Armut als in den chaotischen 1990ern nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. Sogar der Kampf gegen Alkoholmissbrauch sei inzwischen so erfolgreich, dass die Russen sogar weniger tränken als die Deutschen. Doch vor allem prallen bei dieser inzwischen 15. großen Pressekonferenz, fast viereinhalb Stunden lang, wie immer bei seinen Begegnungen mit der Wirklichkeit Welten aufeinander.

Drinnen fragen Journalisten, warum Ärzte - umgerechnet - nur ein paar Hundert Euro verdienen; wieso viele Medikamente nicht verfügbar seien und Kriegsveteranen wie Obdachlose lebten und die Einkommen sinken. "Das ist sehr schlecht", räumt der Präsident ein. Aber wie nach zwei Jahrzehnten mit Putin an der Macht - wahlweise als Präsident oder Regierungschef - Lösungen aussehen können, bleibt auch an diesem Donnerstag ungeklärt.

Draußen protestieren Frauen gegen politische Repressionen. Der prominente Oppositionelle Alexej Nawalny ätzt bei Twitter, dass Putin in der Vergangenheit lebe. "Es geht (...) ganz offensichtlich um die beiden drängendsten Themen für unser Land: Die Ukraine und die Diskussion um den Zweiten Weltkrieg (...) Welche Ärzte? Welche Korruption?" Ein größeres Thema der langen Tour d'horizon ist in der Tat der 75. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Hitlerdeutschland. Den will Putin im kommenden Jahr groß feiern mit Staats- und Regierungschefs aus aller Welt.

Kaum kritische Fragen

Drinnen gibt es Applaus, Lob und kaum kritische Fragen - vor allem Dankbarkeit, dass sich der mächtigste Mann des Landes die Zeit nimmt. Journalistinnen in Sichtweite Putins tragen kurze rote Kleider; eine Reporterin trägt Indianerkostüm, eine andere kommt als Snegurotschka - also Schneeflöckchen, die Gehilfin des russischen Weihnachtsmannes. "Putin, ich liebe dich" - steht auf dem Plakat einer Frau. Ein Journalist hält eine hölzerne Ikone hoch und segnet Putin, weil dieser wie ein Heiliger Russland durch turbulente Zeiten führe.

Es geht darum, Aufmerksamkeit zu erheischen. Putin selbst lächelt es weg: "Wir sind ja nicht auf einem Basar!", ruft er in die Runde von rund 2.000 Journalisten. Ernst wird er aber, als es etwa um den Mord an dem Georgier im Berliner Tiergarten geht. Er gibt Deutschland erstmals Recht, dass Russland doch nie bei den Behörden in Berlin einen Auslieferungsantrag gestellt habe. Er nennt den Toten auch wieder einen Verbrecher - wie schon vor einer Woche bei einem Treffen mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Paris.

Themen aber wie die Proteste im Sommer mit vielen Festnahmen Andersdenkender und die Verurteilungen zu langen Haftstrafen sind allenfalls Randthemen. Die Sorge auch vieler Journalisten angesichts Hunderter blockierter Webseiten um die Freiheit des Internets teilt er nicht: "Wir bewegen uns nicht auf eine Schließung des Internets zu." Ein eigentlich am Donnerstag geplantes Manöver für eine Abschaltung des Internets verschoben die Behörden auf nächste Woche.

Manch ein Journalist ist mit den Antworten enttäuscht. "Es ist, als ob ihn die Zukunft nicht interessiert", sagt ein Korrespondent aus Sibirien. Die Ängste vor einer neuen Pensionsreform? Unbegründet, sagt Putin. Die Sorgen um Russlands großes Müllproblem? Werden durch Gespräche gelöst, sagt Putin. Die Diskussion um ein erstmals geplantes Gesetz gegen häusliche Gewalt? Er sei gegen Gewalt zu Hause, sagt er. Ob es aber ein Gesetz dagegen brauche, da sei er noch unentschlossen.