"Irgendetwas zwischen 23.000 und 24.000 Gräber" sollen es einmal werden, sagen Chanania Schachor und sein Partner Arik Glazer vom Tunnelbauunternehmen Rolzur. Schachor ist der Leiter der größten Jerusalemer Beerdigungsgesellschaft und der Visionär hinter einem außergewöhnlichen Großprojekt: Als die Idee eines unterirdischen Friedhofs in Israel erstmals öffentlich wurde, tat man sie als nicht machbar und unbezahlbar ab. Nun, 35 Jahre später, wird das Unmögliche Wirklichkeit: Morgen werden nach sechs Jahren Bauzeit unter dem jüdischen Friedhof "Har HaMenuchot" (Deutsch: "Berg der Ruhenden") in Jerusalem die weltweit ersten Katakomben der Moderne offiziell eingeweiht.

Der Platz geht aus

Am 1. November werden die ersten 8000 Gräber für jüdische Bestattungen freigegeben. Judentum wie Islam sehen Erdbestattungen vor. Anders als in Österreich werden Grabplätze, um die sich niemand mehr kümmert, nach Ablauf einer Frist nicht neu belegt. Nur: Bei gut 45.000 Todesfällen im Jahr und einer Verdoppelung der Bevölkerung bis 2048 wird der ohnehin umstrittene Boden im Heiligen Land knapp. Seit 1959 wurde auf dem Har HaMenuchot 200.000-mal begraben. Stück für Stück werde so der benachbarte Jerusalemwald vom Friedhof aufgefressen, sagt Schachor.

Der Friedhof "Har HaMenuchot"
Der Friedhof "Har HaMenuchot" © (c) Ilia Yefimovich/DPA/picturedesk.com



Früher, als es nur traditionelle Erdbestattungen gab, kamen auf 1000 Quadratmeter 320 Tote. Mit Grabtürmen stieg die Zahl auf 3800. Künftig werden es 5000 Gräber pro 1000 Quadratmeter sein. Drei Hektar Wald will der Bestatter so retten. Dunkle Enge, wie man sie von einer Grabhöhle erwarten könnte, sucht man hier vergebens. Stattdessen prägen hohe Decken und weite Gänge die Katakomben, die rollstuhlgängig rund 50 Meter unter der Oberfläche gelegen sind. Auf drei Etagen sind Felsgräber angelegt, vier Reihen mit rechteckigen Öffnungen auf jeder Etage, insgesamt sind es Tausende. Wären diese sechseckig, könnten die Grundform an einen Bienenstock erinnern.

Zurück zu den Wurzeln

Schachors mutige Vision ist ein "Zurück zu den Wurzeln". Die bedeutendsten Katakomben des Landes in Beit Schearim bei Haifa, von der Unesco seit 2015 als Weltkulturerbe anerkannt, stammen aus dem zweiten bis vierten Jahrhundert. In jüngster Zeit wagten einzelne wie der Talmud-Professor Jair Furstenberg Vorschläge zum Platzsparen, wie in der Antike Gräber nach einer Weile aufzumachen und Knochen in Ossuarien zu sammeln. Die Bestattungskultur werde sich weiter verändern, glaubt auch Schachor. Feuerbestattungen jedoch seien vor dem Hintergrund des Holocaust unvorstellbar. Gegen das Bestatten im Berg hingegen habe sich kein Widerstand geregt: "Im Gegenteil – die meisten staunen".

Während Bestattungen für Jerusalemer weiter kostenlos bleiben, muss zahlen, wer nicht von hier stammt oder sein Grab schon zu Lebzeiten auswählen will. Umgerechnet 55 Millionen Euro kosten die Katakomben.