„Was macht man als Bürgermeisterin, wenn eine Stadt getroffen wird, wenn sie mehre Schocks erleidet, die nicht voraussehbar waren?“ Anne Hildalgo, Bürgermeisterin von Paris, hatte diese Frage gerade in den Raum gestellt, als draußen vor dem Rathaus die Sirenen ertönten, viele Minuten lang. Sie wollte ein gemeinsames Mittagessen mit einer kleinen Gruppe europäischer Journalisten nutzen, um Bilanz zu ziehen. Es ist die Bilanz einer Amtszeit, in der die Hauptstadt der Franzosen mehrfach Ziel von Attentaten geworden ist, aber auch die Kathedrale von Notre-Dame in Flammen aufging.

Hidalgo hat an diesem Mittag lange über diese prägende Erfahrung gesprochen, die sie als Mensch verändert hat. Der Anblick der Opfer und der Tatorte war mehr als ein Schock, sagt Hidalgo: „Als Bürgermeisterin muss man danach die Worte und Geste finden, damit die Stadt wieder aufsteht. Die Resilienz muss solide sein, sie muss halten. Aber die Pariser haben Eintracht bewiesen und sich nicht spalten lassen.“

Wieder weint Paris

Kaum war die Vorspeise abgeräumt, kam die erste Nachricht aufs Handy der Bürgermeisterin. Blass teilt sie mit, dass es eine Messerattacke gegeben habe. In der nur wenige hundert Meter entfernt liegenden Präfektur, dem Verwaltungs- und Polizeisitz, ist ein Angestellter mit einem Messer auf seine Kollegen losgegangen. Hidalgo zieht dennoch weiter Bilanz, sie spricht über den Klimaschutz und wie sie das Auto aus der Stadt verbannt hat. Dann kommt der Anruf des Präfekten: Zwei Tote, darunter der Attentäter, so der erste Stand. Wenig später steigt die Zahl der Opfer auf vier, fünf mit dem Attentäter. Um 14 Uhr, die Nachrichtenagenturen schweigen noch, bricht Hidalgo das Interview ab und verlässt den Tisch. Sie muss nur die Seine überqueren, um zur Präfektur zu kommen, jenem Gebäude, in dem in der Nacht, als Notre-Dame brannte, die Kommandozentrale eingerichtet war.

Paris trauert, twittert sie, einmal vor Ort: „Paris weint über die Seinen nach dieser schrecklichen Attacke in der Präfektur.“ Es folgen Beileidswünsche für die Familie und die Angehörigen. Wenig später trifft auch Emmanuel Macron mit seinem Innenminister ein. Die Abgeordneten halten eine Schweigeminute zum Gedenken der Opfer ein. Parlamentspräsident Richard Ferrand drückt den Polizisten und Angestellten der Präfektur sein Beileid aus. Erst am Vortag hatten tausende Polizisten in Paris gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen demonstriert. Unter dem Motto „Polizisten in Wut“ beklagten sie nicht nur unzählige Überstunden, sondern mehr noch die mangelnde Wertschätzung und feindliche Haltung der Bürger gegenüber der Polizei.

"Sicherungen durchgeknallt"

Der mutmaßliche Täter soll nach Information einer französischen Zeitung 45 Jahre alt gewesen sein und aus einem Übersee-Departement stammen. Er hat seit 20 Jahren in der Informatikabteilung des Geheimdienstes der Präfektur gearbeitet hat und war nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP "leicht behindert". Ein Gewerkschaftssprecher der Polizei sagte, der Täter haben die Attacke in seinem eigenen Büro begonnen und auf den Fluren weitergeführt. Ein anderer Gewerkschaftskollege wird zitiert mit den Worten: Dem Mann seien „die Sicherungen durchgeknallt“. Erst im Hof des Gebäudes konnte ein Polizist den Täter erschießen.

Die genauen Umstände waren wenige Stunden nach der Tat noch ungeklärt. Es gab allerdings schnell Hinweise darauf, dass es mit der „Hierarchie“ seiner Abteilung zusammenhängen könnte. Dennoch wurde in den sozialen Netzwerken daraus schnell ein „islamistisches Attentat“ gemacht. Die übereilten Reaktionen zeigen, wie angespannt die Lage in Frankreich noch immer ist. Erst am Wochenende hatte der umstrittene Bestsellerautor Eric Zemmour auf einer Veranstaltung rechtsextremer Vordenker Feuer aufs Öl gegossen, indem er vor einem angeblichen „Bevölkerungsaustausch“ durch Muslime gewarnt und behauptet hat, dass der „weiße, heterosexuelle, katholischen Mann zum Abschuss freigegeben“ sei.