"Das Schlimmste ist verhindert worden": Mit diesen Worten hat Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron bereits in der Nacht auf die Lage nach dem schockierenden Großbrand der Kathedrale Notre-Dame-de-Paris – etwa 1000 Quadratmeter standen in Flammen – zusammengefasst. "Diese Kathedrale, wir werden sie wiederaufbauen, das verspreche ich", sagte Macron sichtlich erschüttert bei einer improvisierten Pressekonferenz vor laufenden Kameras, nachdem er das zweite Mal den Schauplatz des Dramas besichtigt hatte.

Rot glühendes Kreuz

Das Schlimmste ist also verhindert. Die Pariser sind erleichtert, die ganze Welt blickte, an diesem Abend auf Paris. Zum Höhepunkt des Großfeuers, das am Montag um18.43 vermutlich im Dachstuhl der Kathedrale ausgebrochen ist und erst um 06.00 offiziell als gelöscht galt, war lange unklar, ob Notre-Dame überhaupt zu retten ist. Als das Feuer auf den nördlichen Glockenturm übergegriffen hatte und die Angst bestand, die tonnenschweren Glocken könnten niederstürzen, ließ das französische Innenministerium trocken mitteilen, dass man die komplette Zerstörung nicht ausschließen könne. Aufnahmen einer Drohne, die die Feuerwehr in den Himmel über Paris geschickt hatte, zeigten wie das Feuer Haupt- und Querschiff erfasst hatte: ein rot glühendes Kreuz lag im steinernen Herzen von Paris, es lag da in Trümmern, wie ein Mahnmal.

Kritik wurde an der angeblich zu spät handelnden Feuerwehr laut – die hatte es freilich aus vielerlei Gründen nicht einfach: Einsatzkräfte steckten offenbar im Pariser Abendverkehr fest. Außerdem sind die direkten Zufahrtsstraßen zur Kathedrale schmal geraten. Ein zusätzliches Hindernis nach Eintreffen der Feuerwehr waren dann fotografierende Schaulustige, die sich zunächst vor der Kirche sammelten. Das von manchen geforderte massive Aufbringen von kaltem Wasser auf stark erhitzten Sand- oder Naturstein gilt unter Experten als fatal, zumal es das Gemäuer zum Springen und im Extremfall ganz zum Kollaps hätte bringen können.

"Ich denke, dass man nicht mehr machen kann", hielt Patrick Chauvet, der Direktor von Notre-Dame fest. Sicherheitsmängel beim Brandschutz sieht er keine, verweist er etwa auf Brandaufseher, die drei Mal täglich den Dachstuhl prüfen. Gestern entdecken Fachleute "einige Schwachstellen" im Gebäude, die vor allem das Gewölbe, also die Gebäudeecke betreffen. Innen-Staatssekretär Laurent Nunez fügte dann aber immerhin hinzu: "Im Ganzen hält die Struktur gut."

Für die rasante Ausbreitung des Feuers muss vor allem das hölzerne Dachwerk verantwortlich gewesen sein, das über acht Jahrhunderte unbeschadet überlebt hatte. Im 13. Jahrhundert waren dafür 24 Hektar Wald gerodet, 1300 Eichen hochgeschafft und verbaut worden, was ihm auch den Beinamen "Der Wald" gab. Es war der einzige Kirchendachstuhl in Europa, der die Jahrhunderte unbeschadet überstanden hatte. Aus Angst vor Bränden gab es dort keine Elektrik.

Am Morgen danach war auf den Titelseiten der französischen Zeitungen fast ausnahmslos dasselbe Bild zu sehen: Der filigrane Dachreiter der gotischen Kathedrale, ein 93 Meter hoher Turm, in Flammen. Als "flèche", als Pfeil, der in den Himmel schießt, wird er bezeichnet. Er stand dort, wo sich die beiden Schiffe des Baus kreuzen. "Notre Drame" titelte dazu die Tageszeitung "Libération" mit einem trockenen und treffenden Wortspiel. "Unsere liebe Frau" hatte sich über Nacht in ein nationales Drama verwandelt: Ein über 800 Jahre altes Gotteshaus, das den Wirren der Geschichte und selbst Hitlers Zerstörungslust getrotzt hatte, das ewig, unantastbar schien, verschwand vor den Augen schockierter Menschen, die ohnmächtig von den Seine-Ufern und der benachbarten Ile-Saint-Louis dem spektakulären Brand zuschauten.

Doch nicht nur die Pariser oder Franzosen hat dieses Feuer erschüttert, nicht nur gläubige Christen, nicht nur die Besucher der Stadt, die zufällig Zeuge dieses Dramas wurden: Die ganze Welt schien mitgefühlt, um den Bau gebangt zu haben. Als "Wunde" hat Ex-Präsident François Hollande die Zerstörung bezeichnet. Sie schmerzt weltweit – es wird Jahrzehnte dauern, bis diese Wunde vernarbt ist.

"Niederkunft von Völkern durch die Arbeit"

"Die größten Werke der Architektur sind weniger individuelle als soziale Werke, sie sind die Niederkunft von Völkern durch die Arbeit", schrieb Victor Hugo, dessen Roman "Der Glöckner von Notre-Dame" eine Hommage ist. Notre Dame, das wurde in diesen Stunden klar, ist nicht irgendeine Kirche, sie ist das Herz des Abendlandes, majestätisches Abbild eines steinernen Willens der Menschheit, über sich selbst hinauszuwachsen. Auch deshalb wurde von der Kirche gesprochen wie von einer Person. "Sie ist Teil jener Symbole des Bemühens um Frieden, Schönheit, Hoffnung und Glaube weit über das Christentum hinaus", sagte Eric Moulin-Beaufort, der Bischof von Reims.

Über 400 Feuerwehrleute waren die ganze Nacht über im Einsatz, einer von ihnen wurde schwer verletzt. Noch in der Nacht sind die Arbeiter verhört worden, die seit Sommer mit der Restaurierung des Dachreiters betraut waren. Experten gehen davon aus, dass es überaus schwierig sein wird, die Brandursache festzumachen. Glück im Unglück: Erst Tage zuvor waren die Skulpturen der zwölf Apostel vom Dach abgebaut und abtransportiert worden. Eine Journalistin des "New Yorkers", die die Architekten und Restauratoren auf dem Dach begleitet hatte, zitiert einen von ihnen: "Indem wir sie wiederherrichten wollten, haben wir sie womöglich zerstört."

Die Diözese von Paris hatte die 150 Millionen Euro teure Restaurierung 2018 begonnen. Sie sollte über zehn Jahre lang dauern. Vor allem der zerstörte Dachreiter, der ungefähr eine Stunde nach Ausbruch des Brandes in sich zusammenstürzte, war in einem miserablen Zustand. Er gehörte nicht zur ursprünglichen Architektur des gotischen Bauwerks: Erst Mitte des 19. Jahrhunderts war er bei großen Renovierungsarbeiten auf das Dach der Kathedrale gesetzt worden. Der Architekt Viollet-le-Duc hatte mit dieser Initiative damals eine heftige Debatte ausgelöst.

Inzwischen aber wirkte dieser Turm so, als habe er immer dazugehört.
Bereits die ersten Fotos aus dem Inneren der Kathedrale zeigen, wie dort, wo der Dachreiter stand, ein großes Loch im Gewölbe klafft. Das Kreuz hingegen steht scheinbar unbeschadet im Chor. Dieses Bild wirkt nach dieser Nacht wahrlich wie ein Wunder.