Nepal im April vor vier Jahren: Eine Reihe heftiger Erdbeben mit Magnituden bis 7,8 fordern fast 9.000 Menschenleben und zerstören Dörfer und Kulturdenkmäler. Dem Land könnten noch stärkere Beben drohen, berichten ETH-Forscher. Diese müssen aber nicht unmittelbar bevorstehen.

Nepal liegt dort, wo zwei Kontinente kollidieren: Wo die Indische und die Eurasische Kontinentalplatten aufeinandertreffen und sich erstere unter die letztere schiebt, kann die Erde heftig beben - wie beim Erdbeben von 2015, das Zerstörung und Tausende Verletzte und Tote brachte.

Forscher der ETH Zürich haben ein neues Modell dieser Kollisionszone im Bereich des Himalajas entwickelt. Damit konnten sie erstmals mit hoher Auflösung die Erdbebenzyklen an einem Querschnitt der Bruchzone simulieren, wie die ETH mitteilte.

Katastrophe von 2015 nicht das Schlimmste

Die Katastrophe vom April 2015 könnte demnach noch nicht das Schlimmste gewesen sein, was die Bruchzone dem Land bescheren kann. Beben mit Magnituden von 8 oder höher wären möglich, berichten die Wissenschafter um Luca Dal Zilio und Taras Gerya im Fachblatt "Nature Communications".

"Beim 2015er-Beben brach nur ein Teil des Bruchsystems, welches die beiden Kontinentalplatten abgrenzt", ließ sich Dal Zilio in der Mitteilung zitieren. Der vorderste, oberflächennahe Teil der Bruchzone, wo die Indische unter die Eurasische Platte abtaucht, sei nicht gerissen und stehe immer noch unter Spannung.

Spannungen haben noch zugenommen

Größere Beben lösen normalerweise alle Spannungen rund um das Epizentrum; dies sei jedoch bei dem Beben vor knapp vier Jahren nicht geschehen. In einem frontalen Teil der Bruchzone nahe dem Fuß des Himalaya haben die Spannungen der Studie zufolge im Gegenteil sogar zugenommen.

Zwei bis drei weitere Beben wie das sogenannte "Gorkha-Beben" von 2015 würden den Simulationen der ETH-Forscher zufolge so viel Spannung in oberflächennahen Bereichen der Bruchzone aufbauen, dass ein Megabeben der Magnitude 8,1 oder höher möglich wäre. Erst ein solch gewaltiges Beben würde alle aufgestauten Spannungen der Bruchzone lösen.

Zwei Typen von Erdbeben

Dank des neuen Modells erkannten die Forscher, dass es mindestens zwei Typen von starken Erdbeben im Himalajagebiet gibt, die in unterschiedlichen Zyklen auftreten. Mittelstarke wie das Ghorka-Beben mit einer Periodizität von bis zu wenigen hundert Jahren, Megabeben deutlich seltener, mit Abständen von 400 bis 600 Jahren. Weil sich die Zyklen jedoch teils überlagern, sei mit starken Erdbeben in unregelmäßigen Abständen zu rechnen, schrieb die ETH.

Das neue Modell soll helfen, die Gefährdung in der Region besser einzuschätzen und Vorsorgemaßnahmen zu planen. Voraussagen, wann das nächste starke Beben droht, kann das neue Modell jedoch nicht.