Heute vor zwei Jahren raste Anis Amri mit einem gestohlenen Lkw in eine Menschenmenge auf einem Berliner Weihnachtsmarkt. Der abgelehnte Asylwerber aus Tunesien tötete zwölf Besucher des Markts am Breitscheidplatz, verletzte viele weitere und konnte flüchten. In Italien wurde Amri vier Tage später gestellt und erschossen. Seine Taten haben Narben hinterlassen.

Nach dem Anschlag kam rasch Kritik am Verfassungsschutz auf. Es drängte sich die Frage auf, ob man den bislang schwersten islamistischen Terroranschlag in Deutschland nicht hätte verhindern können. Der Verdacht konnte bis heute nicht ausgeräumt werden, die Ermittlungen um die Attacke sind noch immer nicht abgeschlossen. Erst in der vergangenen Woche teilte die deutsche Bundesanwaltschaft in einem Schreiben mit, dass Amri ursprünglich einen Sprengstoffanschlag geplant habe und Kontakt zu dem inhaftierten französischen Islamisten Clement B. und dem als "Gefährder" eingestuften Tschetschenen Magomet C. hatte.

Laut der offiziellen Version handelte Amri alleine, doch diese Version erscheint immer unwahrscheinlicher. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags beschäftigt sich mit dem Fall. Benjamin Strasser (FDP), Mitglied des Gremiums, sagte deutschen Medien gestern: "Die Einzeltäter-Theorie ist eigentlich schon tot." Aktuellen Erkenntnissen zufolge hat sich Amri vor allem in der Berliner Fussilet-Moschee mit Gleichgesinnten getroffen und vernetzt. Amri, der bereits im Fokus des Verfassungsschutzes war, wurde vor dem Anschlag jedoch nicht mehr beobachtet. Strasser bezeichnet dies als "organisierte Verantwortungslosigkeit". Der U-Ausschuss hat die Beweisaufnahme gerade erst beendet, ein Ergebnis ist noch nicht absehbar.

Gedenken unter der Gedächtniskirche

Der Weihnachtsmarkt unter der Gedächtniskirche hat seine Tore schon seit dem 26. November wieder geöffnet. Während heute vor einem Jahr alle Stände geschlossen blieben, um den Toten zu gedenken, bleibt das Gros der Stände zwei Jahre nach dem Anschlag geöffnet. Nur im Bereich um die Gedenkstätte vor der Kirche wird Ruhe einkehren, um einen angemessenen Rahmen für Trauer und Erinnerung zu ermöglichen. Nach einer offiziellen Kranzniederlegung am Vormittag gibt es um 18 Uhr eine Gedenkandacht. "Um 20.02 Uhr (Zeitpunkt des Anschlags, Anm.) wird die Glocke zwölfmal schlagen, um an die zwölf Toten zu erinnern", erklärt Dorothea Strauß, eine der Priesterinnen der Gedächtniskirche. Sie fühle sich sicher, sagt sie. So sicher, wie man sich eben fühlen kann.

Hinterbliebene und Passanten erhalten das Andenken an die Verstorbenen
Hinterbliebene und Passanten erhalten das Andenken an die Verstorbenen © Matthias Reif

Berlin habe modernste Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Wie genau diese Maßnahmen aussehen, will Strauß nicht preisgeben. Auch Sicherheitskräfte vor Ort halten sich bedeckt. Sichtbar sind nur die Barrieren und Poller um den Markt und Wachpersonal, das sich eher im Hintergrund hält.

Der Markt ist dieser Tage gut besucht, die Gäste sichtbar gut gelaunt. Dennoch ist am Tag vor dem zweiten Jahrestag der Tragödie eine erhöhte Medienpräsenz bemerkbar. "Ja, wir werden schon oft darauf angesprochen, wie das war", sagt Heinz Müller, einer der Standbetreiber. Aber "bei uns ist alles im grünen Bereich", versichert er mit einem Blick auf seine Jacke. Man will sich weder das Geschäft noch das Weihnachtsfest kaputtmachen lassen.

Der Punschstand von Familie Müller
Der Punschstand von Familie Müller © Matthias Reif

Dann fügt er hinzu: "Bei lauten Geräuschen zucken wir schon noch zusammen." Auch, wenn ein Gast einmal heftiger auf den Tresen schlägt. "Da hat man dann im ersten Moment kein Verständnis dafür", sagt er. Das Einschlafen fällt den Müllers manchmal schwer. "Lkw kommt hier keiner mehr rein. Aber es gibt andere Wege, um Schaden anzurichten", erklärt Müller mit dem Verweis auf die jüngste Attacke in Straßburg.

Priesterin Strauß bringt die Lage auf den Punkt: "Das kann man nicht einfach beiseite wischen, das ist nun Teil unserer Kirche, aber ich kann auch nicht jeden Tag schrecklich betroffen sein."