Nikos Vassiliou, 52, Vollbart, stechender Blick, feste Stimme, spricht selbst für griechische Verhältnisse sehr schnell und sehr ausführlich. Er erzählt über den kleinen Ferienort im Osten Attikas, der seit dem fürchterlichen Feuer am dramatischen 23. Juli plötzlich kein Ferienort mehr ist.

Tragödie nahe Athen

Vassiliou ist ortskundig, er hat ein Haus in Mati und kennt sich in der Materie wie kaum ein anderer aus: Der Ingenieur führt eine eigene Firma mit griechischer und internationaler Klientel. Er plant und baut Häuser bis hin zu Industrieanlagen. Feuerschutz inklusive. Vassilliou hatte Glück. Sein Haus in Mati hat wie durch ein Wunder nur relativ geringe Schäden davongetragen. Sogar die Blumen in seinem Garten blühen, als hätte es das Feuermeer hier nie gegeben. Dafür hatten seine Nachbarn Pech. Insgesamt 4000 Häuser sind völlig niedergebrannt oder stark beschädigt, unzählige Autos zerstört. Fast das gesamte Mati liegt in Schutt und Asche.

Es ist brütend heiß. Ein starker Wind bläst, der im August hier übliche Meltemi-Wind, Zum Glück weht er gerade aus Nordosten, anders als an jenem schrecklichen 23. Juli, als der katastrophale Westwind die Feuerwalze unerbittlich durch Mati vorantrieb.

Eine Luftansicht der zerstörten Gegend um Mati
Eine Luftansicht der zerstörten Gegend um Mati © (c) APA/AFP/SAVVAS KARMANIOLAS

Ein unvorsichtiger Anrainer, der auf einem Hügel oberhalb des Katastrophengebietes vertrocknete Zweige verbrannte und danach versäumte, die Feuerstelle richtig zu löschen. Fehlende Feuerwehrkräfte. Starke Winde. Das schwierige Terrain: Das sind laut Feuerwehr die Ursachen für die Tragödie. 93 Tote sind bis dato gezählt und identifiziert. Viele verkohlte Leichen sind darunter, auch Ertrunkene, die vor dem Feuerinferno ins Meer flohen. Es gibt zahlreiche Verletzte, manche schweben in Lebensgefahr.

Ob Griechen, sonstige Europäer oder kurdische Flüchtlinge aus dem syrischen Afrin: Hunderte, meist junge Freiwillige verteilten in Mati nach der Katastrophe ununterbrochen Gratis-Lebensmittel und Getränke an die Brandopfer, säuberten unentwegt Straßen und Häuser oder munterten die noch in einem kollektiven Schockzustand Befindlichen auf. Viele der Helfer trugen lange danach noch ihre Atemschutzmasken: toxischer Staub. Viele Häuser in Mati wurden noch mit dioxinhaltigen Baumaterialien errichtet.

Vassiliou sitzt auf der Terrasse seines Hauses, nimmt einen Schluck Wasser und bestätigt die Theorie der Feuerwehr. „Brandrodung? Nein, das glaube ich nicht. Brandstiftung vielleicht schon, ob fahrlässig oder nicht. Eine Brandrodung, um das Ödland in Bauland umzuwidmen, war das aber in der Causa Mati nicht.“ Mati sei schon vor dem Riesenfeuer dicht bebaut gewesen, auch die umliegende Region, so sein Argument. Niedergebrannte Waldflächen, wie früher am Peloponnes durchaus üblich, nach und nach in Bauland umzuwidmen und zu bebauen, das gehe seit etwa zwanzig Jahren nicht mehr. Das griechische Gesetz verbiete das. "Wo Wald war, muss wieder Wald sein. Folglich muss dort aufgeforstet werden", Vassiliou.

Ausgebrannte Autowracks allerorts
Ausgebrannte Autowracks allerorts © (c) APA/AFP/LOUISA GOULIAMAKI



Die Mafia aus skrupellosen Baufirmen, Bürgermeistern, Beamten und Politikern hatte halb Griechenland jahrzehntelang per systematischer Brandstiftung niederbrennen lassen, um danach mit dem Geschäft mit Immobilien reich zu werden. Ministerpräsident Alexis Tsipras kündigte nach dem Inferno an, illegale Bauten abreißen lassen. In den letzten Jahrzehnten waren im ganzen Land Tausende illegale Häuser zum Teil mitten im Wald oder fast auf der Küste und den Stränden gebaut worden. Stufenweise waren dann diese Bauten aus politischen Gründen für legal erklärt worden. Dies werde es nicht mehr geben, versprach Tsipras. Geklärt ist: Zäune vieler planlos gebauter Häuser versperrten Menschen auf der Flucht vor dem Feuer den Weg.

Tausende Athener entdeckten ab den 1950er-Jahren den hübschen Fleck an der malerischen ostattischen Küste als ideales Feriendomizil in langen griechischen Sommern. Sie kauften in Mati Grundstücke. Die neuen Eigentümer bauten Häuser – und pflanzten dort Pinien in ihren Gärten an. Ausgerechnet Pinien! Kaum ein Baum brennt schneller. Den latenten Vorwurf, Mati sei illegal bebaut worden, lässt Vassiliou nicht gelten. Dabei ist die Ortschaft insgesamt noch immer nicht im Bauplan erfasst. Ein Unding.

Ganze Existenzen wurden zerstört
Ganze Existenzen wurden zerstört © (c) AP (Petros Giannakouris)

Sünden der Vergangenheit

Dennoch: Die Häuser in Mati erhielten von Anfang an Strom, Wasser sowie einen Telefonanschluss. Nicht nur so wurden sie faktisch legalisiert. Für den illegalen Hausbau verhängte der griechische Staat (meist moderate) Strafgebühren. Man zahlte gerne – und war aus dem Schneider. Für alle Häuser in Mati ist Grundsteuer fällig, Matis Immobilien sind zudem unisono im hellenischen Katasteramt registriert. Das ist durchaus verblüffend: Bis heute ist nur etwa die Hälfte aller Liegenschaften in Griechenland im dort erfasst – in drei, vier Jahren soll es das ganze Land sein.

Die Überlebenden von Mati schauen indes nach vorne. Tenor: "Wir werden Mati wieder aufbauen. Schöner als je zuvor."