"Mehr können wir leider nicht anbieten“, sagt Katerina und stellt einen kleinen Teller mit Gebäck auf den Tisch. Eine Zweizimmerwohnung im Athener Arbeiterviertel Nikaia, 43 Quadratmeter. Hier lebt die 38-Jährige mit ihrer 71 Jahre alten Mutter. Ihren vollen Namen will sie nicht in der Zeitung lesen. „Ich schäme mich so – ich bin noch keine 40 und schon am Ende“, sagt sie und bricht in Tränen aus. Katerina hatte eine gut bezahlte Arbeit als Disponentin eines Supermarkts, hoffte auf eine Beförderung. Dann kam die Krise, die Kette ging pleite. Die junge Frau verlor ihren Job, musste ihre Wohnung aufgeben, zog zurück zu ihrer Mutter. Jetzt verdient sie 380 Euro im Monat als Teilzeitkraft in einem Schnellrestaurant und lebt in ständiger Angst, den Job zu verlieren.

Kaum jemand ahnte, was auf Griechenland zukommen würde, als am 23. April 2010 der damalige Premierminister Giorgos Papandreou in einer Fernsehansprache einen Offenbarungseid leistete. An den Finanzmärkten bekam das hoch verschuldete Land kein Geld mehr. Hellas stand vor der Pleite. Innerhalb einer Woche stellten die Eurostaaten und der Internationale Währungsfonds (IWF) Kredite von 110 Milliarden Euro bereit, um Griechenland finanziell über Wasser zu halten. Achteinhalb Jahre und drei Rettungspakete später ist die Gefahr des Staatsbankrotts gebannt. Aus einem Haushaltsdefizit von 15,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2009 wurde 2017 ein Überschuss von 0,8 Prozent. Kein anderes Euro-Problemland hat bei der Haushaltskonsolidierung so beeindruckende Erfolge erzielt wie Griechenland.

Tiefste und längste Rezession

Aber um welchen Preis: Der Sparkurs, den die Athener Regierungen auf Geheiß der Gläubiger steuern mussten, trieb die Griechen in die tiefste und längste Rezession, die ein europäisches Land in Friedenszeiten durchzumachen hatte. Die Wirtschaftsleistung schrumpfte um mehr als ein Viertel. Zehntausende Firmen gingen in Konkurs.

Die Einkommen fielen um durchschnittlich ein Drittel, die Arbeitslosenquote stieg von 7,5 auf 27 Prozent. Das Arbeitslosengeld wird in Griechenland maximal ein Jahr lang gezahlt. Von der Arbeitslosigkeit ist es deshalb oft nur ein kleiner Schritt in die Obdachlosigkeit. Makis weiß das. „32 Jahre bin ich zur See gefahren“, erzählt der 61-Jährige. „2013 ging die Reederei in Konkurs, seitdem bin ich arbeitslos – keiner nimmt einen Seemann in meinem Alter“, sagt Makis. Als die Ersparnisse aufgebraucht waren, verlor er seine Wohnung. Jetzt lebt er als Obdachloser am Hafen von Piräus.

Explosion der Armut

In Griechenland tickt eine soziale Zeitbombe: „Ich fürchte eine Explosion der Armut“, sagt der Ökonomieprofessor Savvas Robolis. Auch Erwin Schrümpf ist besorgt: „Die Menschen werden noch mehr leiden und hungern als bisher.“ 2012 gründete der Salzburger seinen Verein „Griechenlandhilfe“. Inzwischen haben Schrümpf und seine 40 Mitarbeiter rund 430 Tonnen Hilfsgüter nach Griechenland gebracht. Das Land steckt nach achteinhalb Jahren „Rettung“ tiefer im Schuldensumpf denn je. Die Schuldenquote stieg von 127 Prozent des BIP im Jahr 2009 auf jetzt 183 Prozent. Die europäischen Gläubiger räumten dem Land deshalb im Juni Schuldenerleichterungen ein. Im Gegenzug verpflichtete sich Athen bis zum Jahr 2060 zu strikter Haushaltsdisziplin.

Nur wenn Griechenlands Wirtschaft wieder wächst, hat das Land eine Chance, sich aus der Schuldenfalle zu befreien. Den Übergang zu einer innovationsgetriebenen Ökonomie habe das Land aber nicht geschafft, meint Alexander Kritikos, Ökonom beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin: „Man hat nicht versucht, Überregulierung und staatliche Bürokratie so abzubauen, dass es für innovative Unternehmen attraktiv ist, in Griechenland zu bleiben.“

Das verschreckt nicht nur Investoren. Rund 500.000 Griechen sind während der Krise ausgewandert. Der Filmemacher Nikos Stampoulopoulos betreibt die Website „Nea Diaspora“, auf der sich Auslandsgriechen vernetzen und austauschen. An eine Rückkehr denken die wenigsten, sagt er: „Griechenland hat in den vergangenen Jahren Hunderttausende seiner besten Talente verloren. Dieser Exodus ist die schlimmste Langzeitfolge der Krise.“