Noch herrscht auf Riads Straßen das gewohnte Bild: Wohin man schaut, sitzen Männer am Steuer. Doch der Countdown läuft, die Reformuhr tickt. Heute dürfen zum ersten Mal auch Frauen ans Lenkrad: für den Rest der Welt selbstverständlich, für Saudi-Arabien eine kleine Revolution.

Vor neun Monaten, Ende September 2017, kündigte das Königshaus diese spektakuläre Wende an, mit dem heutigen Tag wird sie Realität. Zwei Drittel der weiblichen Bevölkerung will laut Umfragen schon bald den Führerschein machen, einige hundert Dokumente wurden bereits ausgestellt. Die fünf bisher offiziell lizenzierten Fahrschulen für Frauen können sich nicht retten vor Anfragen. Allein die Einrichtung im ostsaudischen Dhahran, die 45 Fahrlehrerinnen beschäftigt, führt 13.000 Interessentinnen auf ihrer Warteliste. Mindestens 30 Fahrstunden für umgerechnet 600 Euro sind Pflicht, die bisher auf speziellen Parcours fern der Hauptverkehrsstraßen absolviert werden mussten. Die ersten weiblichen Prüflinge präsentierten bereits stolz im Internet ihre neuen Führerscheine.

Autosalons, wie Mercedes-Benz in Riyadh, registrierten in den letzten Wochen mehr und mehr Besucherinnen, die zu zweit oder in kleinen Gruppen das blitzende Angebot musterten. Auch die Videokampagne „She’s Mercedes“ des deutschen Konzerns wirbt jetzt mit saudischen Frauen. Neue Verkehrszeichen mahnen nun beide Geschlechter, Spezielle Nummernschilder für Autos, die von Frauen gekauft werden, soll es nicht geben, verspricht das Verkehrsministerium.

Pionierinnen im Gefängnis

Empfindlich getrübt jedoch wird die Euphorie über die neuen Freiheiten durch die Verhaftung und die bizarre Schmutzkampagne regierungstreuer Medien gegen prominente einheimische Frauenrechtlerinnen, die drei Generationen angehören. Zeitungen druckten Fotos von Eman al-Nafjan, Loujain al-Hathloul und Aziza al-Yousef mit roten Stempeln "Verräter" quer über dem Gesicht. Laut Staatsanwalt haben vier Frauen und fünf mitverhaftete Männer gestanden, "mit Einzelpersonen und Organisationen kommuniziert und kooperiert zu haben, die dem Königreich feindlich gesinnt sind".

ie sollen vor ein Spezialgericht für Terrortaten gestellt werden. Editorials bezichtigten die Festgenommenen, unentschuldbare Verbrechen begangen zu haben und Agenten ausländischer Botschaften zu sein. Andere forderten kurzerhand, alle hinzurichten – mit dem Schwert.
Die Botschaft an die Gesellschaft ist damit klar: Bürgerrechte in Saudi-Arabien werden von oben gewährt und nicht von unten erkämpft. Politischer Aktivismus und offene Reformdebatten sind tabu in der absolutistischen Monarchie auf der Arabischen Halbinsel. Entsprechend schockiert reagierten international bekannte Vorkämpferinnen wie Manal al-Sharif, die seit einiger Zeit in Australien lebt: "Mein Optimismus liegt zerschmettert am Boden".

Systematische Diskriminierung

Die Verhafteten des Hochverrates zu beschuldigen sei skandalös. Deren einziges "Verbrechen" sei, gegen das männliche Vormundschaftsrecht und gegen die systematische Diskriminierung zu kämpfen, "der wir Frauen jeden Tag unseres Lebens ausgesetzt sind". Das Thema Autofahren ist längst nicht das Einzige, was die weibliche Bevölkerung erzürnt. Praktisch in allen Lebensbereichen haben Väter, Ehemänner, Onkel oder Söhne das Sagen. Zwar wurden Bestimmungen des drakonischen Vormundschaftsrechts etwas gelockert. Doch nach wie vor dürfen Frauen nicht ohne Einwilligung ihres männlichen Vormunds heiraten, Studien beginnen oder reisen, einen Pass beantragen oder sich medizinischen Eingriff unterziehen.

Ungeachtet dessen jedoch steht für viele saudische Neufahrerinnen jetzt vor allem ihre Premiere im Vordergrund, wie eine 24-Jährige der "Saudi Gazette" anvertraute: Sie werde als erstes zu dem Haus ihrer Mutter fahren und diese zu einem Autoausflug abholen. "Ich will diesen Tag mit meiner Mutter genießen, nur meine Mutter und ich – und sonst niemand."