Als Eva Bailen von ihrer persönlichen Hölle erzählt, wird ihre Stimme immer ungehaltener. "Richtig schlimm wurde es, als Diego neun, zehn Jahre alt war. Er hat damals jeden Tag geweint, hatte Angstzustände, konnte nicht schlafen und wollte nicht zur Schule gehen", erinnert sich die Frau aus Madrid. Die Hausaufgaben haben sie und ihren Sohn vor zwei Jahren zur Verzweiflung getrieben.

Familien verzweifeln

Weil es in Spanien offensichtlich immer mehr Hausaufgaben gibt und immer mehr Familien daran verzweifeln, gehen die Eltern des Landes nun auf die Barrikaden. Nach einem Aufruf des Dachverbandes der Familien mit Kindern an öffentlichen Schulen (CEAPA), der landesweit mehr als 12.000 Elternvereinigungen vertritt, sollen sich die Schüler nun zunächst an allen Wochenenden im November weigern, Schularbeiten zu machen. Ziel der Kampagne sei die gänzliche Abschaffung der Hausaufgaben, sagt Verbandschef Jose Luis Pazos.

Sogar im Vorschulalter

Bei einer jüngsten Umfrage des Verbandes unter 1.748 Eltern meinte rund die Hälfte, dass die Hausaufgaben das Familienleben in Mitleidenschaft ziehen. Das Problem der "Deberes de casa" ufert aus. "Der allgemeine Eindruck ist, dass die Aufgaben mehr und mehr werden", klagt Verbandschef Pazos. Sie würden zum Teil sogar über die Sommerferien aufgegeben. Und Eva Bailen, die neben Diego auch zwei Töchter (10 und 13) hat, sagt: "Sogar Drei- oder Vierjährige im Vorschulalter bekommen inzwischen bereits Hausaufgaben. Ein Unding!"

6,5 Stunden pro Woche

Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) empfiehlt vier Stunden Hausaufgaben in der Woche. Nach einer Studie von 2012 benötigen 15-Jährige in OECD-Staaten für die Hausarbeiten in der Woche im Schnitt 4,8 Stunden. In Spanien sind es 6,5 Stunden. Laut CEAPA müssen spanische Kinder allerdings oft mehr als zehn Stunden wöchentlich zu Hause lernen. Bei Evas Sohn Diego waren es sogar drei Stunden pro Tag. Viele Kinder hätten kaum Zeit zum Spielen. Somit werde in Spanien Artikel 31 der UN-Kinderrechts-Konvention verletzt, wonach Kinder Recht auf Ruhe, Freizeit und Spiel haben, kritisiert der Verband.

Finnen nur drei Stunden

Dabei bedeuten mehr Hausaufgaben nicht zwingend bessere Leistungen. Die spanischen Schüler, die auch bei den Schulstunden über OECD-Durchschnitt liegen, schneiden im europäischen Leistungsvergleich nämlich schlecht ab, die Finnen mit nur drei Stunden Hausaufgaben pro Woche dagegen besonders gut.

Hausaufgabenstreik

Wie groß die Beteiligung am Hausaufgabenstreik am ersten Aktions-Wochenende war, können die Organisatoren nicht einschätzen. Auf dem Olavide-Platz im Madrider Stadtviertel Chamberí muss man am Sonntag aber nicht lange suchen, um Streikende zu finden. "Heute darf mein kleiner Miguel Angel länger kicken, und wir besuchen die Oma. Ja, wir streiken! Ein Bericht über den Boykott im Fernsehen hat mir die Augen geöffnet", meint Mutter Irina.

Privatschule ohne Hausübung

Auch Eva Bailen findet die CEAPA-Aktion gut. Sie ist davon überzeugt, dass sie die Gesellschaft und die Behörden für das Problem sensibilisieren wird. Der Mutter des heute zwölfjährigen Diego, der inzwischen auf eine Privatschule ohne Hausaufgaben gewechselt ist, startete im März 2015 eine Onlinepetition an das Bildungsministerium, die bereits von mehr als 220.000 Unterzeichnenden unterstützt wird. Und sie schrieb das Buch "Wie überlebt man die Hausaufgaben".

Sinnlose Abschreib-Aufgaben

Die Hausaufgaben-Gegner ärgern sich unter anderem über sinnlose Abschreib-Aufgaben. Sie fordern eine bessere Ausbildung der Lehrer und zentrale Regeln, damit nicht die einzelnen Einrichtungen und Lehrer in Spanien weiter nach Lust und Laune über die Menge der Aufgaben entscheiden können. Hausaufgaben könnten auch soziale Ungleichheiten festschreiben, weil nicht alle Kinder daheim gleich gut unterstützt würden.

Starke Gegenstimmen

Doch es gibt auch starke Gegenstimmen. Der katholische Elternverband Conapa etwa, der vor allem an Privat-Schulen stark ist, hält den Hausaufgaben-Streik für falsch. Die Kinder müssten ihren schulischen Pflichten nachkommen, findet Conapa-Präsident Pedro Jose Caballero. Von "Unsinn" spricht der Lehrerverband des Gewerkschaftsbundes CSIF. Die spanischen Kinder hätten in der Tat ein Problem, "aber das Problem sind die Eltern", schimpfte CSIF-Präsident Mario Gutierrez. Man dürfe den Lehrern nicht die Kompetenz aberkennen. Der neue Bildungsminister Inigo Mendez de Vigo hält den Streik für eine "sehr schlechte Idee", die die gesamte Lehrerschaft in Verruf bringt.