Es war ein Tag der eindrucksvollen Bilder: Soldaten in Uniform vor prächtiger Meereskulisse, betagte Veteranen, zu Tränen gerührt und überwältigt von der Erinnerung, eine Kunstflugstaffel mit blau-weiß-roten Kondensstreifen - zu den Feiern des 70. Jahrestags des D-Day in der Normandie bot Gastgeber Frankreich großes Kino. Doch hinter der Bühne lief hektische Krisendiplomatie.

Und eines der Bilder des Tages hatte nichts mit Weltkriegsgedenken, sondern mit einem höchst aktuellen Konflikt zu tun. Im Schloss Bénouville, wo vier Sterneköche vor der zentralen Gedenkzeremonie im Küstenort Ouistreham ein Mittagessen für die geladenen Staats- und Regierungschefs zauberten, trafen sich erstmals Russlands Staatschef Wladimir Putin und der neu gewählte ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Sie gaben sich die Hand und führten ein "vollkommen normales" Gespräch, wie ein Mitarbeiter von Frankreichs Staatschef François Hollande es ausdrückte. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit zwischen Politikern mit Führungsverantwortung, sollte man meinen.

Doch nach der Annexion der Krim durch Russland und den Kämpfen mit prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine wurde das Gespräch, an dem auch Hollande und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel teilnahmen, als seit langem ersehntes Zeichen der Entspannung und vorsichtigen Annäherung gedeutet. Laut Elysée-Palast wurde über "mögliche Maßnahmen der Deeskalation" zwischen Russland und der Ukraine geredet und vereinbart, in den kommenden Tagen über "die Modalitäten eines Waffenstillstandes" zwischen Kiew und den prorussischen Separatisten zu beraten. Kein Durchbruch, aber ein "fragiler Fortschritt", wie es Hollandes Umfeld nannte.

Putin traf Obama

Und noch ein zweites bedeutungsschweres Treffen gab es im Schloss Bénouville: Putin traf auf seinen Kontrahenten Barack Obama. Beide hatten eine kurze "informelle Unterhaltung", wie es aus dem Umfeld des US-Präsidenten hieß - ein "formelles Treffen" mit dem wegen seiner Ukraine-Politik international am Pranger stehenden Kreml-Chef hatte das Weiße Haus ausgeschlossen. Immerhin: Es war das erste Zusammenkommen der beiden seit Beginn der Ukraine-Krise.

Wem bei der anschließenden Zeremonie am Strand von Ouistreham die Sympathien galten, daran gibt es keine Zweifel: Obama wurde von den tausenden Gästen mit tosendem Beifall begrüßt, für Putin gab es allenfalls Höflichkeitsapplaus, vereinzelt wurden auch Unmutsbekundungen laut. Die Kamera-Regie erlaubte sich dann den hintersinnigen Streich, die Gesichter des lockeren Obama und des etwas grimmig dreinschauenden Putin in Nahaufnahme nebeneinanderzuschneiden und auf die Großleinwände zu werfen - Jubel auf den Tribünen.

Informelles Ukraine-Gipfeltreffen

Schon seit einiger Zeit war klar, dass die Zeremonien zum Gedenken an die Alliierten-Landung in der Normandie vor 70 Jahren zu einer Art informellem Ukraine-Gipfeltreffen werden würden - spätestens als die Teilnahme Putins bestätigt und dann noch der frisch gewählte Poroschenko eingeladen wurde. Die führenden Industrienationen hatten den geplanten G-8-Gipfel mit Russland in Sotschi nach der Krim-Annexion gestrichen und sich stattdessen am Mittwoch und Donnerstag im G-7-Format in Brüssel getroffen. Dort forderten sie von Russland Schritte zur Deeskalation und drohten weitere Sanktionen an.

Merkel traf Putin dann schon am Freitagvormittag in einem Luxushotel in der Nähe der D-Day-Feierlichkeiten an der nordfranzösischen Küste. Sie appellierte an die "große Verantwortung" des russischen Präsidenten für eine "Stabilisierung" der Lage in der Ostukraine. Auf der Tribüne am Strand von Ouistreham führte sie dann weiter eifrige Gespräche mit Putin und Poroschenko.

Die Bilder von Krieg und Zerstörung, die auf den Leinwänden in Ouistreham bei einer historischen Rückschau auf den Zweiten Weltkrieg gezeigt wurden, waren für die Staats- und Regierungschefs wie eine Warnung: Einen neuen Krieg dürfen sie nicht zulassen. In Ouistreham kamen wie sonst selten Geschichte und Aktualität zusammen.