Die deutsche Justiz hat viele Stile entwickelt, um ihre Bedeutung zu demonstrieren. Der größte, aber eben viel zu kleine Saal 101 des Strafjustizzentrums in München mit seiner fensterlosen Brutalo-Architektur der Siebziger Jahre stammt aus der Zeit, da diese Versuche besonders hässlich ausfielen.

Lange bevor die Richter erscheinen, ist die Luft im Saal zum Schneiden. Eine halbe Stunde vor dem angesetzten Termin betritt Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte, selbstbewusst den Raum. Von ihren Hand- und Fußfesseln ist sie bereits befreit. Sie trägt einen schwarzen Hosenanzug und würde auf der Straße als adrette Vertreterin der besseren Stände durchgehen. Den Fotografen zeigt sie ihre Rückseite. Später wird sie häufiger lächeln, entspannt, beinahe fröhlich wirken.

Zschäpe wird vorgeworfen, zwischen 2000 und 2007 als Täterin an zehn Morden der rechtsextremen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)" beteiligt gewesen zu sein. Außerdem habe sie an den beiden Sprengstoffanschlägen in Köln 2001 und 2004 mitgewirkt, die als Mordversuche gewertet werden. Schließlich sind sich die Ankläger sicher, dass Zschäpe 2011 die Unterkunft der Terrorgruppe in Zwickau in Brand gesteckt hat. Auch dies gilt, weil sich eine Nachbarin im Haus befunden hat, als Mordversuch

Zschäpe soll Gründungsmitglied des NSU gewesen sein, der neben ihr auch die beiden Haupttäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhadt angehört hatten. Beide brachten sich 2011 selbst um.

Nach Zschäpe kommt André E. in den Raum: wohlbeleibt, im Holzfällerhemd, Tätowierungen auf den Fingern, grobschrötig. Er soll die Tatfahrzeuge für den Anschlag im Jahre 2001 und für zwei Raubüberfälle angemietet haben.

Bürgerliche Fassade

Ralf Wohlleben, der frühere NPD-Funktionär, ist der Dritte, der kommt. Der hagere Mann hat wenig Szenetypisches mehr an sich. Die Haare sind kurz, die Kleidung bürgerlich. Ralf Wohlleben soll dem NSU-Trio für die Morde an den türkisch- und griechischstämmigen Opfern die Tatwaffe besorgt haben.

Carsten S. versteckt sich unter der Kapuze seiner Jacke. Später kommt auch hier ein unauffälliger Mann zu Tage. Carsten S. ist wegen Beihilfe an den neun Morden angeklagt. Er soll mit Wohlleben die Waffe besorgt haben.

Was für S. die Kapuze ist für Holger G. ein Aktendeckel, hinter dem er sich wegduckt. Auch er würde in blauer Jacke und Jeans draußen niemandem auffallen. G. soll dem Trio geholfen haben, die Identität zu verschleiern.

Richter Manfred Götzl ist heute liebenswürdig und geduldig. Eine halbe Stunde lang prüft er nach, wer da ist. Dann beginnt das Finassieren. In Aussicht stand ein "Feuerwerk von Anträgen". Da geht es um kleine Fehler, die dem Gericht unterlaufen sein und später einen Revisionsgrund liefern könnten.

Doch statt des Feuerwerks entfalten Zschäpes Verteidiger lähmende Langeweile. Richter Götzl, der ein Fuchs sein kann, hat dafür gesorgt. Die Anwälte hatten einen umständlichen Befangenheitsantrag gegen Götzl per Fax dem Gericht übermittelt. Dann muss er in der Hauptverhandlung nicht vorgetragen werden und niemand würde merken, dass der Umfang in keinem Verhältnis zum Inhalt steht. Doch Götzl bittet Zschäpe-Verteidiger Woflgang Stahl, seinen Antrag vorzulesen. Stahl ist verärgert. Und dann liest er endlos, was auch in zehn Sätzen zu sagen gewesen wäre. Götzl sei gegenüber Zschäpe befangen, weil deren Verteidiger, aber nicht die Bundesanwälte vor der Verhandlung durchsucht werden. Götzl begründete dies mit der Gefahr von Anschläge. Man kann streiten, ob das vernünftig war.

So kommt, was kommen muss: Die Anwälte der Nebenkläger beklagen die Prozessverzögerung, durch die die Opfer "gequält" würden. Zschäpes Verteidiger poltern zurück. Dann geht man in die Mittagspause. Bis weit in den Nachmittag hinein geht das Hickhack dann weiter: Beanstandungen, Pausen, abweisende Gerichtsbeschlüsse und ein weiterer, ausufernder Ablehnungsantrag, diesmal von Wohlleben. Nach einer Stunde unterbricht Götzl den Verteidiger und weist einen Nebenkläger zurecht: "Dass Sie hier jetzt Zeitung lesen, ist nicht möglich." Zeitung lesen ist das Vernünftigste, was man zu dieser Zeit tun kann.