Es gibt wenige Bilder, die sich von Annette Schavan so sehr ins öffentliche Gedächtnis eingeprägt haben wie die Szene im März 2011 auf der Computermesse CeBIT in Hannover. Damals schaute sie sich mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel eine SMS auf deren Handy an und lächelte dann wissend. Es wurde zwar nie offiziell bestätigt, aber immer wieder kolportiert, dass Merkel gerade die Nachricht vom Rücktritt Karl-Theodor zu Guttenbergs empfangen hatte - wegen einer abgeschriebenen Doktorarbeit.

Die Szene zeigt wie keine andere, wieso das nun beginnende juristische Verfahren um die Aberkennung des Doktortitels der deutschen Wissenschaftsministerin Schavan auch zum Problem für Merkel wird. Denn deutlich wurde nicht nur die Vertrautheit zwischen der Protestantin aus dem Osten und der aus Nordrhein-Westfalen stammenden Katholikin. Beide Frauen verband eben auch ihr Image, dass sie anders sind als der schillernde, doch gescheiterte Jungstar Guttenberg - integer, sachorientiert, uneitel.

Nun droht Schavans Ruf aber genau bei diesen Sekundärtugenden Schaden zu nehmen. Denn egal, wie das juristische Verfahren ausgehen wird und ob es Solidaritätsbekundungen auch aus der Wissenschaft gibt: Zunächst einmal steht die Aberkennung des Doktortitels durch die Universität Düsseldorf und vor allem der harte Vorwurf der "vorsätzlichen Täuschung" im Raum. "Sie ist natürlich beschädigt", stellt etwa der Politologe Gerd Langguth fest.

Während es aus der Opposition umgehend Rücktrittsforderungen hagelt, schließt die Union erst einmal demonstrativ die Reihen hinter Schavan. Merkels Sprecher Steffen Seibert betonte das "große Vertrauen" und die "außerordentliche Wertschätzung" der Kanzlerin für Schavan. "Wir stehen in der CDU hinter ihr", betonte der aus Baden-Württemberg stammende Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß. In ihrem Wahlkreis Alb-Donau/Ulm war Schavan schon Ende Januar mit demonstrativen 96 Prozent der Stimmen wieder als Kandidatin für die Bundestagswahl aufgestellt worden. "Der Fall ist eben ein ganz anderer als der von zu Guttenberg", erklärt dies Langguth.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Schavan ausgerechnet im Wahljahr zu einer Belastung von Bundeskanzlerin Merkel und der CDU werden könnte. "Unabhängig vom Ausgang eines solchen Verfahrens würde sie mit diesem Vorwurf den gesamten Wahlkampf über konfrontiert werden", meint der Berliner Politologe Gero Neugebauer im Deutschlandradio Kultur. Ende Januar hatte eine Forsa-Umfrage ergeben, dass 62 Prozent der Deutschen für einen Rücktritt sind, wenn der Doktortitel aberkannt wird.

Für die Kanzlerin, die sich zusammen mit der CDU seit Wochen in einem Umfrage-Hoch befindet, kommt das Urteil der Düsseldorfer Uni auf jeden Fall zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Gerade erst hat die Niedersachsenwahl einem ihrer Hoffnungsträger, dem bisherigen Ministerpräsident David McAllister, einen empfindlichen Dämpfer versetzt und SPD und Grünen Auftrieb gegeben. Jetzt droht eine Dauer-Debatte um Schavan, die von CDU und CSU bisher genüsslich betrachtete Debatte über die Sekundärtugenden des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück zu überlagern.

Dies wäre nach Ansicht der Meinungsforscher gefährlich für Merkels eigene Aufstellung im Bundestagswahlkampf: Denn sie punktet in den Umfragen vor allem deshalb, weil ihr preußisches Pflichtbewusstsein, Bescheidenheit und Ehrlichkeit unterstellt werden. Gibt es Zweifel, dass sie aus parteipolitischen oder persönlichen Motiven über Verfehlungen ihrer Minister hinweggeht, könnte sie diesen Nimbus verspielen.

Dennoch bezweifelt zumindest Langguth, dass die Kanzlerin jetzt personelle Konsequenzen ziehen und Schavan zum Rücktritt drängen wird - solange die juristische Überprüfung der Düsseldorfer Entscheidung läuft. Ein entscheidendes Motiv für die Abwägung der Kanzlerin, wie sie den Schaden begrenzen kann, ist dabei auch die Schwierigkeit, acht Monate vor der Bundestagswahl eine überzeugende Kabinettsumbildung vorzunehmen. Zwar gibt es Spekulationen, dass Merkel etwa den abgewählten McAllister nach Berlin holen könnte. Aber das widerspräche nicht nur dessen Aussagen, er wolle nach der Wahlschlappe in Hannover erst einmal eine Auszeit nehmen. In der Union will man auch unbedingt den Eindruck früherer SPD-Regierungen vermeiden, die mit der Aufnahme gescheiterter Landesfürsten als "Reste-Rampe" galten.

Deshalb gilt die Entwicklung in der CDU noch als offen. "Viel wird von der öffentlichen Debatte der nächsten Tage abhängen", heißt es in der Unions-Spitze mit Hinweis auf die durchaus gemischte, für Schavan eher verständnisvolle Kommentierung vieler Zeitungen in den vergangenen Wochen. Der Chef der Senioren-Union, Otto Wulff, warnt aber davor, sich nach der Entscheidung in Düsseldorf etwas vorzumachen: "Das durchzustehen, wird nicht einfach sein", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Er bereitet vorsorglich einen Abgang Schavans vor: "Letzten Endes liegt die Entscheidung bei ihr selbst."

Am Ende, da ist sich auch Langguth sicher, werde Merkel "sehr pragmatisch" entscheiden. Bei aller Freundschaft sei es immer Merkels Strategie gewesen, im Wahlkampfjahr alle möglichen Angriffsflächen für die Opposition zu beseitigen - und zwar inhaltliche wie personelle. Im Klartext: Bestätigt das Gericht den Entzug der Doktorarbeit, dann wird Schavan gehen müssen. Und sollte der öffentliche Druck zu groß werden, dann wohl auch schon früher. "Die Entscheidung über Schavan ist deshalb eigentlich nur vertagt", sagte ein hoher CDU-Vertreter - zumindest bis Freitag. Dann kehrt die Forschungsministerin aus Südafrika nach Berlin zurück.