Der 22. September ist für Rebecca Brock ein ganz besonderes Datum: An dem Tag feierten sie und ihr Mann Kory ihren ersten Hochzeitstag. Jedoch getrennt voneinander. Nachholen werden sie den Jahrestag mit ein paar Wochen Verspätung in Korys Heimat Michigan – wenn sie in die USA ausgewandert ist und wenn er nach zwölf Jahren Gefängnis wieder frei ist.
Auf den ersten Blick ist es ein ungleiches Paar. Sie, eine 24-jährige Theologiestudentin, die ihre Kindheit in Kärnten verbracht hat und nun in München lebt. Er, ein 31-jähriger US-Amerikaner, der in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen ist und wegen bewaffneten Raubüberfalls sein ganzes Erwachsenenleben in Haft verbracht hat. Was die beiden verbindet, ist ihr Glaube. Doch um ihre Geschichte zu erzählen, muss Rebecca etwas weiter ausholen. Denn auch sie hatte es nicht immer leicht.
"Ich bin in einer christlichen Familie in Spittal aufgewachsen, habe aber zunächst nicht nach den Werten der Bibel gelebt", erzählt die 24-Jährige. "Ich war ständig auf Partys, hatte zu Hause Probleme und lernte schließlich, dass ich durch meinen Körper Aufmerksamkeit bekomme." Ein weiteres Datum, das Rebecca wohl nie vergessen wird, ist der 11. September 2015. Der Tag, an dem sie vergewaltigt wurde.
Durch ein traumatisches Erlebnis in die Drogensucht
"Zuerst habe ich es geheim gehalten, weil ich dachte, es glaubt mir niemand", erzählt Rebecca. Ein halbes Jahr später vertraute sie sich einem Freund an, dieser ging gegen ihren Willen zur Polizei. Sich jemandem anzuvertrauen und die Last nicht alleine zu tragen, das würde sie Betroffenen dennoch empfehlen. Doch da nahmen die Ereignisse bereits ihren Lauf. Erst später wurde sie sich bewusst, dass es Folgen des traumatischen Erlebnisses waren. Aufgrund posttraumatischer Belastungsstörungen und Depressionen verlor sie ihren Job. Rebecca wollte aus der Situation ausbrechen, zog nach München. Dort kam sie in Kontakt mit Drogen, begann, sich selbst zu verletzen, und brach Ausbildungen ab. Es war keine leichte Zeit. Heute weiß Rebecca: "Ich habe mein Leben total an die Wand gefahren und allen anderen die Schuld gegeben."
Video: Rebecca Brock im Gespräch
Zu dieser Zeit war sie mental am Ende. Doch noch heute erinnert sie sich daran, wie sie in München am Balkon gesessen ist und plötzlich ihr ganzes Leben an ihr vorbeigezogen ist: "Ich habe jede Entscheidung, die ich getroffen habe, gesehen und wusste plötzlich, dass ich selbst verantwortlich bin. In dem Moment habe ich mich von Jesus umarmt gefühlt und ich wusste, ich kann mein Leben ändern, weil er mich liebt."
Dass die 24-Jährige heute so offen über dieses Kapitel reden kann, ist das Ergebnis jahrelanger Aufarbeitung. Lange hatte sie richtige Abscheu gegen Männer, wie sie sagt. Doch dank ihres Glaubens – sie gehört einer Freikirche an – konnte sie schließlich auch ihrem Vergewaltiger verzeihen und für ihn beten.
Kontakt mit einem Gefängnisinsassen
Eine Beziehung war trotzdem das Letzte, an das sie dachte, als sie sich auf einer Website, die Brieffreundschaften mit US-amerikanischen Gefängnisinsassen ermöglicht, durch Profile klickte. Auf der Seite schrieb ein Insasse namens Kory Brock darüber, dass Jesus seine größte Priorität im Leben sei. Und so schickte Rebecca am 25. Jänner 2021 ihren ersten Brief an ihn ab. Es sollten viele weitere folgen. Dann kam das erste Telefonat, später das erste Treffen. "Das war zuerst schon krass, alleine in die USA zu fliegen, um einen Typen im Gefängnis zu treffen, den ich heiraten werde. Die Realität war plötzlich so greifbar", blickt die Kärntnerin auf diesen Moment zurück. Sie erinnert sich an die strengen Sicherheitskontrollen, an das trostlose Besuchszimmer. Und daran, dass sie Kory sofort in die Arme gesprungen ist und ihn geküsst hat: "Es hat sich ganz natürlich angefühlt."
Ihre Familie war länger skeptisch, freundete sich erst nach der Hochzeit so richtig mit dem Gedanken an, dass Rebecca und Kory einander gefunden hatten. Heute akzeptieren und lieben ihn Rebeccas Großeltern und ihre Eltern. Geheiratet wurde bewusst noch vor Korys Freilassung: "Ich wollte heiraten, weil ich ihn als Mensch liebe und nicht, weil die Umstände passen." Eine große Hochzeit wird 2025, nach Korys Bewährung, in Millstatt nachgeholt.
Der Weg in die Freiheit
Wenn Rebecca und Kory im Oktober das erste Mal außerhalb des Gefängnisses Zeit miteinander verbringen können, werden sie ihren Hochzeitstag bei einem saftigen Steak feiern. Zudem erwarten sie organisatorische Aufgaben und so manch eine Herausforderung. "Wahrscheinlich am schwierigsten wird für Kory sein, wieder Verantwortung zu übernehmen und selbst Entscheidungen treffen zu müssen. Aktuell sind seine Tage genau durchgetaktet." Ihr Plan für die Zukunft steht bereits: Während Rebecca noch auf ihre Arbeitsbewilligung in den USA wartet, wird Kory im Unternehmen seines Vaters beschäftigt sein und später zurück ans College gehen.
Auch, wenn jetzt alles auf Schiene ist, die vergangenen Jahre waren nicht einfach: "Wir hatten wirklich Glück, dass uns die Liebe zu Jesus verbindet. Grundsätzlich muss man wirklich aufpassen, wenn man mit Insassen in Kontakt tritt. Da gibt es auch welche, die einem alles versprechen, und sobald sie raus sind, lassen sie einen fallen."
Für Außenstehende mag ihr Mann ein verurteilter Straftäter sein, für Rebecca ist er mehr als das: "Wenn ich heute Geschichten höre über die Person, die er früher war, dann ist das nicht der Mensch, den ich heute kenne. Er kümmert sich viel mehr um andere Menschen als um sich selbst. Ich habe noch nie so eine liebevolle Person gesehen."
Rebeccas und Korys erste Zeit nach der Freilassung wird übrigens auch im TV ausgestrahlt. In der Sendung "Wo die Liebe hinfällt" begleitet sie der deutsche Sender VOX.