Zum Rücktritt von Italiens Ministerpräsident Mario Draghi und der Regierungskrise in der drittgrößten Volkswirtschaft der Europäischen Union schreiben Zeitungen am Freitag:

"La Vanguardia" (Barcelona):

"Angesichts der für den 25. September angesetzten Neuwahlen herrschen im In- und Ausland große Sorgen. Niemandem bleibt verborgen, dass ein Wahlsieg des nationalistischen und euroskeptischen Rechts-Bündnisses eine radikale Änderung der italienischen Europapolitik mit sich bringen würde. Ein wichtiger Punkt ist der Konflikt mit Russland, bei dem Draghi stets die Initiativen für ein entschlossenes Auftreten der Europäischen Union gegenüber Moskau angeführt hat. Der Sturz von Draghi ist in diesem Sinne ein großer Sieg für (Kreml-Chef) Wladimir Putin. (...) In Europa einst als Retter des Euro gefeiert, ist Draghi am Ende ein Opfer des politischen Sumpfes in seinem Heimatland geworden. Die Zukunft Italiens weckt im Land, aber auch außerhalb der Grenzen Italiens große Unruhe (...) Italien und auch Europa werden Draghi sehr vermissen."

"Nepszava" (Budapest):

"Wer darf sich darüber freuen? Zunächst einmal jene, die Italien verachten und die wollen, dass das Land hinter den anderen Staaten Europas zurückfällt. Dann jene, die an der Schwächung Europas interessiert sind, vor allem Russland. Und schließlich jene Rechtspopulisten, denen Italien völlig egal ist und die bloß ihre falsche Ideologie bestätigt sehen möchten, damit am Ende Extremisten die Macht übernehmen können. Jedenfalls begann Italien unter Draghis Führung, zu sich selbst zurückzufinden. Das Land wurde zu einem Faktor in Europa, und die Italiener fingen an, wieder zusammenzuhalten. Mit Draghi hat Italien eine der besten Möglichkeiten seit dem Zweiten Weltkrieg verspielt."

"The Times" (London):

"Es besteht die Gefahr, dass Italiens politische Instabilität eine neue Krise in der Eurozone auslöst. Die Kreditkosten für italienische Staatsanleihen sind in die Höhe geschnellt und spiegeln die Befürchtung der Anleger wider, dass der Rücktritt von Mario Draghi das Ende seines Reformprogramms bedeuten könnte. Es hat Zweifel an der Fähigkeit Italiens aufleben lassen, seine enorme Staatsverschuldung, die derzeit bei über 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, zu bewältigen. Auch könnten dadurch weitere Zahlungen an Italien aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU gefährdet sein. Das Land soll 191 Milliarden Euro erhalten. (...)

Das Zuckerbrot der großzügigen EU-Mittel und die Peitsche einer starken Volatilität auf den Anleihemärkten sind ein kräftiger Anreiz für die nächste Regierung, Draghis Reformen fortzusetzen. Keine Partei fordert heute, dass Italien die Eurozone oder die EU verlässt. Nichtsdestotrotz geht der EU-Spitze mit Draghis Rücktritt eine beruhigende Komponente verloren, und es werden neue Befürchtungen hinsichtlich des westlichen Zusammenhalts geweckt - und das zu einer Zeit, in der dieser von entscheidender Bedeutung ist."

"de Volkskrant" (Amsterdam):

"Was kommt auf Italien - und Europa - nach dem Rücktritt von Mario Draghi zu? Die kurze Antwort lautet: Neuwahlen und dann wahrscheinlich ein Rechtsruck. Unabhängig davon, wie sich die Dinge im Einzelnen entwickeln, steht Italien eine weitere Periode politischer Unsicherheit bevor, und es verliert eine Führungspersönlichkeit, die - obwohl kein Politiker, oder gerade deshalb - in Italien und darüber hinaus populär war und ist. (...)

Die Krise trifft die EU zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt, denn Russlands Überfall auf die Ukraine und die wirtschaftliche Misere verlangen nach Einigkeit und größtmöglicher Stabilität. Draghis Abgang wird in den europäischen Hauptstädten Ängste vor einer erneuten Eurokrise wecken - und die Frage aufwerfen, inwieweit Italien in der Koalition gegen die russische Aggression an Bord bleiben wird."

"Corriere della Sera" (Mailand):

"Die Parteien, die sich bei den Wahlen am 25. September stellen, werden nicht die gleichen sein, die wir kennen. Im Zentrum wird eine Kraft entstehen, um diejenigen zu vereinen, die die Fünf Sterne, die Forza Italia und die Sozialdemokraten verlassen haben. Auf der rechten Seite ist es wahrscheinlich, dass Berlusconi und Salvini versuchen werden, sich zu einen, in der Hoffnung, Giorgia Meloni nicht das Ruder der von allen Umfragen favorisierten Koalition zu überlassen.

Es wird interessant sein, zu sehen, ob die Sozialdemokraten versuchen werden, sich die Agenda Draghis ohne Draghi zu Eigen zu machen, oder ob sie versuchen werden, die Beziehung zu Conte wiederherzustellen. Noch interessanter wird es, wie viel vom Mitte-Rechts der Werte und von den Entscheidungen der Regierung der nationalen Solidarität übrig bleibt und wie viel dem Populismus zugestanden wird. (...) Die Italiener sind sich bewusst, dass sie vor einer schwierigen Zeit stehen: die scheinbar nie endende Pandemie, der Anstieg der Preise und der Kreditzinsen, der Zusammenbruch der Kaufkraft. Sie haben ein Recht darauf, ernst genommen zu werden und dass man sich nicht über sie lustig macht."

"Handelsblatt" (Düsseldorf):

"Es geht um ein Kernland der EU. Italien, 1951 eines der sechs Gründungsmitglieder der Gemeinschaft für Kohle und Stahl, ist immer noch ein proeuropäisches Land. 2021 war ein höherer Anteil der Bürger und Bürgerinnen in Italien zufrieden mit der EU als in Deutschland oder Frankreich. Jeder achte Euro des Bruttoinlandsprodukts in der EU wird in Italien erwirtschaftet. Und Mario Draghis Einfluss in der Russlandpolitik hat gezeigt, was Rom auch politisch in Europa bewirken kann. Wahr ist aber auch, das dieses Kernland die Tragfähigkeit der Gemeinschaft irgendwann überfordern könnte. Fast ein Viertel der Verschuldung der Euro-Mitglieder entfällt auf Italien. Rutschte das Land in eine Finanzkrise, wäre das deutlich dramatischer als die Rettung Griechenlands. (...) Die Hilfe für Italien aus dem EU-Wiederaufbaufonds muss weiterfließen, wenn die zugesagten Reformen vollzogen sind. Kommt es aber zu Verzögerungen, sollten die Gelder zurückgehalten werden."

"Nürnberger Zeitung":

"Draghi, so war sich die öffentliche Meinung beinahe einig, war das Beste, was Italien passieren konnte. Darüber lässt sich streiten. Ein Vordenker der politischen Avantgarde war der 74-jährige Banker gewiss nicht. Doch sicher ist auch: Italien profitierte anderthalb Jahre von Draghis Solidität, von seinem Ansehen und seiner Expertise als Personifikation des herrschenden Systems. Italien hätte politische Stabilität nötig gehabt, auch wenn das Draghi-Wunder nur bis zu den regulären Wahlen im Frühjahr angedauert hätte. Dann hätte 'Super-Mario' regulär abtreten und das Land auf eigenen Beinen gehen müssen. Das gilt auch für die EU-Finanzierungen, die eben nicht für Draghi, sondern für Italien mit all seinen Widersprüchen bestimmt sind."