Als das Urteil im Gericht in Fairfax endlich verlesen wird, ist es bei uns kurz nach 21 Uhr, am Mittwoch, dem 1. Juni 2022. Und das Urteil ist eindeutig: Hollywoodstar Johnny Depp (58) wurde von seiner Ex-Frau Amber Heard (36) verleumdet. Und das sogar "bösartig" – sie muss ihm 15 Millionen Dollar zahlen. Depp muss Heard zwar auch zwei Millionen zahlen, aber nur, weil sein Anwalt fälschlicherweise in einem Interview behauptete, Heard und ihre Freundinnen hätten ein Penthouse verwüstet, um das später Depp in die Schuhe zu schieben.

Dreht dieses Urteil jetzt das Narrativ um, das wir uns seit #MeToo und dem Prozess um Harvey Weinstein erzählen? Und gibt es neben der bekannten toxischen Männlichkeit vielleicht auch toxische Weiblichkeit?

Im Gerichtssaal sitzt eine teilnahmslose Amber Heard, Johnny Depp ist erst gar nicht erschienen. Man sah ihn die Abende davor als "Gast" auf einem Konzert des Rockgitarristen Jeff Beck in England. Sein Kommentar kommt später über die sozialen Medien. Via Livestream sind wieder Millionen Menschen hautnah im Gerichtssaal dabei. So wie schon in den letzten sechs Wochen, denn der Prozess wurde von der ersten bis zur letzten Minute live in die ganze Welt übertragen. Was diese (toxische) "Öffentlichkeit" gesellschaftlich bedeutet, wird in diesem Text später noch behandelt. 

Und auch ich kann mich diesem "Breaking News"-Moment nicht entziehen. Insgesamt werde ich fast zwei Stunden damit verbringen, Reaktionen, TV-Kommentare und daneben die aufbrausenden Reaktionen auf den sozialen Medien zu verfolgen. #TeamJohnny ist außer sich vor Freude, #TeamAmber weint gemeinsam mit Amber Heard, die auf Twitter schreibt, dass sie "heartbroken" und traurig sei. Über den Ausgang, aber vor allem darüber, was dieses Urteil für all die Frauen bedeute, die Opfer sind. Es sei ein Rückschritt.

Hat Amber Heard recht? Ist dieses Urteil das Ende der #MeToo-Bewegung?

Es gibt keine eindeutige Antwort darauf, doch den Versuch einer Einordnung. Was Amber Heard in den letzten Wochen an Hass und Erniedrigung durch die sozialen Medien ertragen musste, hat alle Grenzen gesprengt. Sie wurde in Videos getötet, aufgespießt und nicht nur sie wurde herabgewürdigt, sogar über ihr Baby ergoss sich der kollektive Hass. Man solle das Baby in die Mikrowelle stecken, hieß es da. Das Satiremagazin "The Onion" sprach davon, dass in diesem Prozess vor allem das Publikum toxisch war.

Dieser medialen Hinrichtung wurde nichts entgegengesetzt. Und an diesem Punkt hat Amber Heard recht. Die Message ist: Was immer du vorhast zu erzählen, sei dir des blanken Sexismus und des Hasses bewusst, der dir entgegenschlagen wird.

Doch es gibt auch einen anderen Punkt. Männliche Missbrauchsopfer, das läuft unter #MenToo und die Unterstützer dieser weniger beleuchteten Bewegung sehen nach dem Urteil eine intensivere Debatte rund um einen vielleicht blinden Fleck. Das ist gut.

Wahrscheinlicher aber ist, dass durch dieses Urteil die Erzählung vor #MeToo wieder neuen Schwung bekommt. Du bist ein Opfer von Gewalt? Dann beweise es. Du hast Fotos? Dann schauen wir mal, ob die nicht manipuliert sind. Du hast Verletzungen? Wer sagt, dass du die dir nicht selbst zugefügt hast. Du weinst? Sieht nicht echt aus. Du weinst sehr stark? Ist doch nur schlechtes Schauspiel.

Es wird also für Frauen sicher nicht einfacher, häusliche oder sexuelle Gewalt öffentlich zu thematisieren oder gar zu verhandeln. Und dieses Urteil könnte Zündstoff für andere berühmte Männer sein, denen ebenfalls Gewalt vorgeworfen wird und die nun deutlich bessere Chancen auf Freispruch haben: Drei gibt es schon in der Pipeline: den ehemaligen Tinder-CEO Greg Blatt, den Sänger Marilyn Manson und Rapper Nelly. Sie haben in letzter Zeit Klagen gegen Frauen eingereicht.

Gesellschaftlich bedeutet dieser Prozess und sein Ausgang eine große Herausforderung, die mit der Polarisierung in den sozialen Netzwerken umso herausfordernder wird. Wenn nicht gar unmöglich. Sie heißt Differenzierung. So schnell kann man nämlich nicht #TeamWasauchimmer sein. Man muss hinsehen, die eigene Schlagseite erkennen und erkennen, dass Opfer und Täter(in) nicht immer so aussehen und sich verhalten, wie sie es in stereotypen Schablonen sollten.

Und wenn die #MeToo-Bewegung tatsächlich Schaden nehmen sollte, was gut möglich ist, muss auch der feministische Diskurs in die Differenzierung gehen. Viele Frauen sind Opfer. Aber nicht alle.