Sie begegnen einem Menschen, dessen Selbstbewusstsein Sie umhaut. Diese Person hat sich und ihr Leben fest im Griff, wow! Und dann verlieben Sie sich — und lernen den anderen wirklich kennen. Die Chancen stehen gut, dass die oder der Neue bald unsicherer und verwirrter auf Sie wirkt als am Anfang. Ein guter Grund, das Weite zu suchen, ist das aber nicht: Ziemlich sicher geht es Ihrem Gegenüber nämlich mit Ihnen genauso. 
Die amerikanische Psychologin Tasha Eurich hat ein Jahrzehnt lang das Phänomen des Selbstbewusstseins erforscht — und damit die menschliche Komödie: 95% aller Menschen glauben, dass sie selbstbewusst sind, während das in Wahrheit aber nur auf 10 bis 15% tatsächlich zutrifft. Und diejenigen, die sehr überzeugt sind von ihrem Selbstbewusstsein, haben oft ein besonders schlechtes. Da ist die Forschung ganz bei Charles Bukowski: „Das Problem dieser Welt ist, dass die intelligenten Menschen so voller Selbstzweifel und die Dummen so voller Selbstvertrauen sind.“ Sehr von sich selbst überzeugt zu sein, heisst nicht, dass man sich seiner selbst bewusst wäre.
Selbstbewusstsein ist laut Forschung eine Voraussetzung für vieles: Erfolg, Empathie, Vertrauen, gute Beziehungsfähigkeiten. Aber kaum jemand von uns ist anscheinend wirklich selbstbewusst (womit wenigstens ein paar Probleme dieser Welt erklärt wären.) Wie lässt sich das ändern?
Laut Eurich besteht Selbstbewusstsein aus einer inneren und einer äußeren Komponente: Man muss sich selbst kennen. Und verstehen, wie andere einen sehen. Der Typ, der beim ersten Treffen gut gelaunt von seinem tollen Leben erzählt, sein Gegenüber aber nichts fragt nicht merkt, dass die Stimmung verrutscht, hat kein Selbstbewusstsein — denn er versteht nicht, wie er wirkt. Und die Frau, die sich selbst fertig macht, auch wenn andere ihr dauernd auf die Schulter klopfen, hat auch keins. 
Zu den interessantesten Forschungsergebnissen von Eurich zählt, dass Selbstbeobachtung den meisten Menschen nicht dabei hilft, ihr Selbstbewusstsein zu steigern — solange sie sich existenzielle „Warum?“-Fragen stellen. Besser ist es offenbar, sich praktische „Was kann ich tun, damit…“- Fragen zu stellen. Ebenso wichtig ist es, dass es einen interessiert, was andere von einem denken. Echtes Selbstbewusstsein entsteht, wenn man sein Selbstbild und das Fremdbild, das andere von einem haben, in Einklang bringt. Und das ist zum Glück keine Frage von Talent, sondern eine von Übung und Ehrlichkeit.