Horrormeister Stephen King legt mit seinem neuesten Roman „Holly“ ein besonderes Gustostück an Spannungsliteratur vor. Nach dem eher enttäuschenden Fantasyepos „Fairy Tale“ zeigt sich King wieder auf der Höhe seiner Kunst – und kommt dabei ganz ohne übernatürliche Phänomene aus. Stattdessen widmet er sich der Banalität des Bösen und zeichnet dabei das Sittengemälde einer zwischen Corona-Leugnern und Trump-Verweigerern tief gespaltenen USA. Darin wird die Privatermittlerin Holly Gibney von einer Bekannten angeheuert, deren verschwundene Tochter zu finden.

Bald kommt sie dem alten, sich nach außen liberal gebenden, Akademikerpaar Rodney und Emily Harris auf die Spur, das eine Vorliebe für Menschenfleisch entwickelt hat. King-Fans sind mit Holly Gibney bestens vertraut: Zunächst als Nebenfigur in der Bill-Hodges-Trilogie eingeführt, rückte die mit zahlreichen zwanghaften Ticks ausgestattete Ermittlerin im Roman „Der Outsider“ und in der Novelle „Blutige Nachrichten“ immer mehr in den Fokus.

Explizit politisch

In „Holly“ steht sie nun erstmals im Zentrum eines Romans, dessen Handlung über weite Strecken am Höhepunkt der Corona-Pandemie angesiedelt ist. King, der sich sonst mit mysteriösen Mächten auseinandersetzt, wird in „Holly“ explizit politisch, wenn es darum geht, Fakten zu akzeptieren. Die eigene Sterblichkeit gehört da ebenso dazu wie die Realität eines gefährlichen Virus - Tatsachen, denen sich das kannibalische Ehepaar Harris kategorisch verschließt. Hoffnungsschimmer bleibt die Literatur. In einem wunderbaren Nebenstrang erzählt King von der Lyrikerin Barbara, die mit ihren Gedichten versucht, den eigenen Traumata Ausdruck zu verleihen. Vielleicht können wir nur schreibend (und lesend) mit dem Wahnsinn der Welt umgehen – bevor sie sich selbst verschlingt. King hat mit seinem Reißer „Holly“ jedenfalls einen Beitrag dazu geleistet.  

Buchtipp: Stephen King. Holly. Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt. Heyne. 640 Seiten, 29,50 Euro.

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