Er war ein Nachrichtenmann, ein erfolgreicher Journalist mit Weit- und Scharfblick; aber längst schon verweigert sich Frank der News-Flut. Und deshalb entgeht ihm auch, dass eine Pandemie im Anrollen ist und die Welt bald dichtmachen wird. Deshalb fliegt Frank auch nichts ahnend zur Beerdigung seines alten Freundes und früheren Arbeitgebers Dan, der in Mailand neben einer früheren Geliebten beigesetzt werden möchte. Mit Franks Ex-Frau Connie hatte Dan übrigens auch ein Verhältnis. Und dass er, Frank, damals nicht um sie gekämpft hatte, das hat dieser Ehe den Todesstoß versetzt – nicht der Seitensprung selbst.

März 2020: Corona lässt die Welt stillstehen. Und Frank, 76 Jahre alt, sitzt in einem Luxushotel in Mailand fest – und zunehmend auch in sich selbst. Aus diesem Setting hätte man leicht ein klaustrophobisches Lockdown-Drama schnitzen können. Und „Hotel Milano“, der neue Roman des britischen Schriftstellers Tim Parks, hat zweifelsohne seine dunklen und wehmütigen Seiten. Aber wie Parks diesen Stoff – die Veränderung der Welt im Großen und Kleinen – behandelt, ist voll kluger Selbstironie und ohne jede selbstverliebte Larmoyanz.

Natürlich geht es um die großen Fragen des Lebens. Darum, ob es gut war, dieses Leben, und darum, was man unter „gut“ versteht. Nach dem Tod seiner zweiten Frau Rachel hat sich Frank dazu entschlossen, aus dem Leben „auszusteigen“. Früher hat er für das geschriebene Wort gelebt, ein Institut namens „Klartext“ geleitet, jetzt führt er eine zurückgezogene Existenz fernab der systemischen Aufgeregtheiten. Denn: „Mir war, vermutlich in den frühen Nullerjahren, klar geworden, dass mein Beruf langsam toxisch wurde. Vielleicht war es einst möglich gewesen, Fakten und sogar wohldurchdachte Meinungen ohne eine bestimmte Agenda zu übermitteln. Aber so war es nicht mehr. Alles war überhitzt, hastig, polarisiert. Sofortreaktionen waren gang und gäbe. Innerhalb von Stunden baute sich ein unverstellbarer Druck auf.“

Der Druck steigt, auch in Mailand, dem Epizentrum der Pandemie. Noch einmal erlebt man als Leser die Verwundbarkeit der Gesellschaft und des Einzelnen. Frank indessen zieht kritisch, aber nicht verbittert Bilanz. Je brisanter die Lage draußen in den Straßen wird, desto klarer und schärfer sein Blick. Er verliebt sich, lernt eine im Luxushotel versteckte Flüchtlingsfamilie kennen, lässt wieder die „Welt in ihrer ganzen Dichte“ in Erscheinung treten.

„Hotel Milano“ ist ein Buch darüber, dass nichts auf sicheren Beinen steht. Weder dieser Planet noch wir auf ihm. Es ist aber auch ein Buch darüber, dass wir darüber zwar nachdenken müssen, aber nicht verzweifeln. Diese Gelassenheit, nicht zu verwechseln mit dumpfer Gleichgültigkeit, spendet Trost. Und gibt Kraft. Den Gehstock, den Frank sich nach einer Verletzung ausborgen musste, gibt er übrigens wieder an der Rezeption ab. Er braucht ihn nicht mehr.

Buchtipp: Tim Parks. Hotel Milano. Kunstmann, 237 Seiten, 25,50 Euro.

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