Eine Zwischenetappe in seiner vormaligen Stammgegend soll es wieder werden, eine jährlich zelebrierte Heimkehr zur „Restsippschaft“ ohne Ankommen. Er, der seit langem schon in Übersee lebt, kehrt mit dem Überlandbus ins ehemalige Vieldörferland zurück. Heute: Neue Stadt, Agglomeration, Peripherie., Ausfransung. Wieder ist es eine Reise, die Peter Handke in seinem neuen Buch „Die Ballade des letzten Gastes“ antritt. Und wieder führt sie ihn heimwärts, rückwärts, innwärts, vor allem dorthin.

„Manchmal, wenn Odysseus allein ist, gerät er ins Erzählen, und wem erzählt er? - dem eigenen Herzen.“ Dieser Satz steht auf den letzten Seiten, er könnte als Motto über dem gesamten Text stehen. Einem Text im übrigen, der durchzogen ist von einer Art verzweifelten Versöhnlichkeit. Ein Text auch, in dem der Dichter sein eigenes Werk zitiert und verdichtet, Querverbindungen zu anderen Büchern herstellt, Fäden und Motive aufgreift, fallen lässt, bekannte Bilder weitermalt, wieder zerstört, mit der Motorsäge den Obstgarten im Halbniemandsland aufsucht, weil dort keine Äpfel mehr wachsen, nichts mehr zu retten ist.

Ich-Erzähler und Hauptfigur ist ein Gregor, und mit ihm betritt man uraltes Handke-Land. Gregor, eine multiple Erzählfigur, die in vielen Werken Handkes auftaucht, erstmals bereits im Debütroman „Die Hornissen“, später in „Die Wiederholung“, auch in der „Morawischen Nacht“. Ein Name, tief verwurzelt in Handkes Familientopos mütterlicherseits, der slowenischen Seite. Gregor Sivec (Siutz) hieß der Großvater, Gregor junior dessen Sohn, Hans ein zweiter Sohn, beide gefallen 1943. Und jetzt: Gregor der Erzähler, Handkes Odysseus. Und Hans heißt im neuen Buch dessen Bruder, auch er gefallen, als Fremdenlegionär, Kopfschuss. „Je älter Handke wird, desto intensiver beschäftigen ihn die Vorfahren“, schreibt auch Handke-Biograf Malte Herwig in „Meister der Dämmerung“.

Festhalten, festschreiben, der Vergänglichkeit Worte entgegenwerfen. Dieses Handke‘sche Lebensmotiv wird immer dringlicher, immer gewaltiger, auch dieser Text ein Sprachsturm und Gedankengewitter eines heimatlosen Irrgehers und Irrläufers, der sich sowohl in der Ferne als auch in der Nähe unbehaust fühlt; und daheim, im Elternhaus, dort sitzen Mutter, Vater, Schwester – und genügen einander.

„Die Ballade des letzten Gastes“ ist ein typischer „später Handke“, hermetisch und störrisch, nur der Literatur und ihren allerhöchsten Ansprüchen verpflichtet, durchrauscht von einem Toben und Tosen und Suchen und Sehnen; gleichzeitig, so paradox das klingen mag, durchdrungen von einer tiefen Ruhe, einem mäandernden Sound des Meditativen.

Gregor, der die Todesnachricht vom jüngeren Bruder unhinterbracht mit sich herumschleppt, streunt durch das vormalige Vieldörferland, schläft in einem Muldentrichter im Wald, landet letztlich als willkommener „Gasthaussitzer“ in Wirtsstuben; auch das ein Motiv, das im Handke-Kosmos bereits auftauchte. Ein Wunsch der Mutter, deren Geschichte für immer festgeschrieben in „Wunschloses Unglück“, war es, dass ihr Haus in einen Gasthof umgewandelt wird. Der Sohn, der Dichter, hat ihn ihr erfüllt: im Schreiben.

Gregor beendet den Heimaturlaub, ohne je angekommen zu sein. „Ich Kippfigur“, hat er zuvor in die Nacht gebrüllt. Aber! Aber? „War nicht auch ein Kippen vorstellbar als eins in die richtige, die gute Lage?“

Vielleicht.