Da ist man wirklich mutterseelenalleine. Der Bergsee Turumtaikul liegt auf 4202 Meter Seehöhe in dem Teil des Pamir-Gebirges, das durch Tadschikistan verläuft. Der Ort ist so entlegen, dass selbst das vermeintliche globale Gedächtnis Wikipedia nur einen bruchstückhaften Eintrag auf Englisch aufweist. Ausgerechnet dort muss man im Schlamm stecken bleiben. Und zwar nicht mit dem Fuß im Wanderschuh, sondern mit einem gut drei Tonnen schweren Steyr-Puch Pinzgauer. Mit jedem Gasstoß graben sich drei seiner sechs Räder tiefer in den Gatsch. Immer mehr gerät das Wohnmobil in Schieflage. Nichts geht mehr.
Was hat Friedl Swoboda in diese missliche Lage gebracht? Die Antwort ist so klar wie eindeutig: das Reisevirus. Schon vor Jahren hat es den gebürtigen Salzburger befallen. Als erste Dosis der Medizin verordnete er sich 2013 eine zweijährige Reise mit einem umgebauten Pick-up durch Nord- und Südamerika. Und er war noch nicht zurück in Österreich, da wusste er bereits: Er wollte mehr. Also reduzierte der Unternehmensberater sich und seinen Haushalt. Verkaufte viele Dinge, die er eigentlich gar nicht brauchte. Lebte sparsam, während in seinem Kopf sein nächstes Abenteuer Gestalt annahm. Eine Weltreise.

Aber nicht mit dem Schiff oder dem Flugzeug, schon gar nicht mit einer Reisegruppe. Sondern alleine, im eigenen Auto, auf eigenen Wegen. Auch wenn ihn seine Lebensgefährtin auf manchen Etappen begleitet, er sich streckenweise anderen Abenteurern anschließt oder sich mit Einheimischen anfreundet – am liebsten ist Swoboda solo unterwegs. „Das kann bedrückend sein, aber auch sehr schön.“ Wobei – ganz alleine ist er ja nicht: Er hat ja auf jedem Meter seinen Reisekameraden dabei, seinen „Wüstenfuchs“.
Eigentlich wollte Swoboda gar keinen Pinzgauer als Reisemobil haben. „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich ausgerechnet mit diesem Auto um die Welt fahren werde. Er war mir zu klein und zu geländegängig.“ Aber als er dann vor dem dreiachsigen 718T Jahrgang 1990 stand, war es schnell um ihn geschehen. Jeder, der beim Bundesheer war, kennt den Klang, wenn der zwischen den Vordersitzen positionierte Reihensechszylinder-Diesel aus dem Hause Volkswagen mit 2,4 Liter Hubraum und 105 PS aufsalutiert. „Als Österreicher mit einem österreichischen Auto unterwegs zu sein, das ist schon lässig. Damit habe ich mir ein Stück weit einen Bubentraum erfüllt.“ Und nicht nur sich selbst: „Der Pinzgauer wird unterwegs die ganze Zeit fotografiert. Die Leute sind ganz begeistert, wenn sie ihn sehen. Ganz egal, wo.“

Und auch aus anderen Gründen schlägt das Herz des Nichtmechanikers Swoboda in Bezug auf seinen sechsrädrigen Kumpel höher: In ihm schlägt kein Funke Elektronik – die kann man als Autowanderer in den entlegensten Winkeln der Welt nämlich ganz und gar nicht gebrauchen – abgesehen vom GPS-Gerät, mit dem man sich orientieren und mit dem Rest der Welt in Verbindung bleiben kann. „Mit älteren Fahrzeugen hat man es in exotischen Ländern wesentlich leichter. Man kann sie einfacher reparieren lassen. Und sie sind nicht so empfindlich auf minderwertigen Sprit.“ Den Pinzgauer hat der Weltreisende selber vom Sanitätsfahrzeug in ein Wohnmobil verwandelt. „Ich bin an die Sache herangegangen wie ein kleiner Bub, der sein Baumhaus baut.“ Ein gut ausgestattetes Baumhaus auf Rädern mit Bett, Küche, Dusche und WC, Heizung und einer Solaranlage auf dem Dach. „Ich hätte auch ein fertiges Reisemobil kaufen können, aber ich hatte nach meiner Südamerika-Reise meine eigenen Vorstellungen und wollte auch meine eigenen Fehler machen.“
Die steirische Eiche wird indes ihrem Ruf, unverwüstbar zu sein, gerecht, den sie sich im Militärdienst rund um den Globus verdient hat. Reifenschäden lassen sich auf den schlechten oder gar nicht vorhandenen Straßen schlichtweg nicht vermeiden. Auch ein Felsschlag blieb dem steirischen Urgestein nicht erspart. In Indien zerbarst eine Bremsscheibe, mit der Swoboda aus dem spontan eingeschobenen weihnachtlichen Heimaturlaub im Gepäck zurückkehrte. „Ich habe das ganze Gepäck von 30 Kilogramm für Ersatzteile genutzt“, erzählt Swoboda. Die Behörden werden beim Durchleuchten des Koffers schön dreingeschaut haben.

Aber dass der Startermotor ausgerechnet in China den Geist aufgeben musste, das war dann doch eine ziemliche Aktion: „Ich musste den Wagen 2000 Kilometer auf einem Lastwagen transportieren lassen, damit wir aus dem Land kommen, bevor das Visum abläuft. „Ich beherrsche in jeder Sprache nur fünf Worte. Auch mit Händen und Füßen kommt man weiter. Aber wenn mein Guide Tashi mir da nicht beim Organisieren geholfen hätte, wäre ich schön aufgeschmissen gewesen.“
Im Juli 2018 brach Friedl Swoboda in seiner Heimatstadt Salzburg auf, „mit keiner ganz genauen Route, aber einer grundsätzlichen Richtung im Kopf“. Sie führte ihn zunächst nach Russland, dann durch die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan. Dann über den Iran nach Pakistan, Indien, Nepal, China und schließlich in die Mongolei. Heute hält er bei Tag 337 seiner Weltumrundung. Rund 34.000 Kilometer sind auf dem Zähler abzulesen.
Derzeit „übersommert“ der Pinzgauer im sibirischen Irkutsk nahe dem Baikalsee und wartet dort auf Väterchen Frost, während sein Fahrer auf Tour durch Österreich ist, um mit Reisevorträgen die Urlaubskasse aufzubessern. Denn die nächste Etappe der Reise soll ausgerechnet durch den berüchtigten russischen Winter bis nach Wladiwostok an der Küste des Pazifiks führen. „Bis minus 17 Grad habe ich im Pinzgauer schon übernachtet und das war wirklich sehr frisch“, sagt Swoboda. Deshalb wird er ihn in einer Werkstatt vor Ort auf die extremen Temperaturen vorbereiten – 50 Grad unter 0 sind dort keine Seltenheit. In Wladiwostok angekommen, wird das Reisemobil eingeschifft und tritt über den Ozean seine Reise nach Vancouver in Kanada an – die nächste Etappe auf der Weltreise, die rund 90.000 Kilometer umfassen wird.

Aber zurück nach Turumtaikul, wo der Pinzgauer im Schlamm feststeckt. Wo unsereins vermutlich die Nerven im See versenkt hätte, weil er unter diesen Umständen mutterseelenallein in der Wildnis sitzt, nahm es Swoboda gelassen. „Ich habe technische Geologie studiert. Das ist auch der Grund, warum ich auch in der größten Einöde meine Freude habe“, schmunzelt der Mann der Steine. „Ich habe zwei Tage lang gebraucht, um das Auto aus dem Gatsch wieder herauszubekommen. Aber mit Sandblechen und einer Seilwinde habe ich es am Ende doch geschafft.“ Das Ende einer Geschichte – und der Anfang einer neuen.
