Es war nur eine Frage der Zeit. Und seit wenigen Tagen gibt es Gewissheit: Dreieinhalb Jahre nach der Enthüllung der Abgasmanipulation bei Volkswagen durch die US-Behörden hat nun auch die Staatsanwaltschaft Braunschweig Anklage gegen den früheren Volkswagen-Konzernchef Martin Winterkorn (71) erhoben. Dem ehemals mächtigsten Auto-Boss der Welt und vier weiteren Ex-Managern des Unternehmens werden unter anderem schwerer Betrug und Untreue vorgeworfen.

694 Seiten lang ist allein die Anklageschrift mit den Vorwürfen gegen Winterkorn, die dazugehörigen Unterlagen füllen weitere 300 Aktenordner mit rund 75.000 Seiten Papier. Das Landgericht Braunschweig muss nun prüfen und entscheiden, ob es zum Prozess kommt. Im Falle einer Verurteilung droht Winterkorn, für den die Unschuldsvermutung gilt, bis zu zehn Jahre Haft sowie der Verlust seines gesamten Vermögens. Bereits zu Jahresbeginn war in den USA ein Haftbefehl gegen Winterkorn erlassen worden. Dort könnte er sogar bis zu 25 Jahren hinter Gitter wandern.

Neun Monate in U-Haft: Ex-  Motorenchef Wolfgang Hatz
Neun Monate in U-Haft: Ex- Motorenchef Wolfgang Hatz © KK

Nach Razzien und Hausdurchsuchungen, Hunderten Vernehmungsprotokollen, Auswertungen von Tausenden beschlagnahmten Mails und ersten Verhaftungen könnte endlich Licht ins Dunkel im Dieselskandal kommen. Die Anklage gegen den Mann, der Volkswagen zum größten Autobauer formte und selbst bis zu 17 Millionen Euro jährlich verdiente, wird in Deutschland als Schlüssel für die Aufklärung im Diesel-Drama gesehen.

Nun wird es sich weisen, ob Winterkorn der Kopf der Diesel-Gang war oder nur Opfer. Es muss sich klären, was er alles wusste und ob er den dreisten Betrug womöglich gedeckt oder gar verschleiert hat. Wer die Hintermänner waren. Und wer verantwortlich zu machen ist für die über neun Millionen manipulierten und verbotswidrig zugelassenen Fahrzeuge des Konzerns. Für Schadenersatz und Strafen musste Volkswagen bis heute rund 30 Milliarden Euro in die Hand nehmen.

Kamals erster deutscher Auto- Boss in U-Haft: Rupert Stadler
Kamals erster deutscher Auto- Boss in U-Haft: Rupert Stadler © AP (Michael Sohn)

Die Staatsanwaltschaft geht von einem Tatzeitraum vom 15. November 2006 bis 22. September 2015 aus, sie entspricht exakt der Ära Winterkorns als Konzernlenker. Winterkorn selbst hat alle Vorwürfe bislang zurückgewiesen und beteuert, bis zum 18. September 2015 - also eine Woche vor seinem Rücktritt - nichts vom Betrug in den USA gewusst zu haben. Was alle, die Winterkorn gut kennen, nicht so wirklich glauben wollen: technikbesessen und detailverliebt, lief in Wolfsburg so gut wie nichts ohne seinen Segen. So gaben beschuldigte Mitarbeiter zu Protokoll, Winterkorn schon im Mai 2014 auf die Probleme aufmerksam gemacht zu haben. Involvierte Software-Spezialisten aus unteren Ebenen sollen Wiko, wie er intern genannt wurde, schwer belasten - auch um ihre eigene Haut zu retten.

Für Winterkorn könnte es aber noch weit dicker kommen. Anleger werfen der damaligen VW-Spitze vor, den Finanzmarkt zu spät über die möglichen Milliardenlasten durch die Dieselvorwürfe informiert zu haben, und fordern Milliarden als Schadenersatz für Kursverluste. Im Visier hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig aber ebenso den langjährigen Finanzvorstand und heutigen Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch sowie den heutigen Konzernlenker Herbert Diess. Erst seit Sommer 2015 beim deutschen Autoriesen, ist Diess mit dem Dieselskandal an sich nicht in Verbindung zu bringen. Allerdings verantwortete der Österreicher, von BMW kommend, von Beginn an die Kernmarke Volkswagen. Pötsch und Diess sehen kein Fehlverhalten.

Zuletzt hatten die drei Staatsanwaltschaften gegen mehr als 70 Beschuldigte aus dem VW-Konzern ermittelt, Ex-Porsche Vorstand Wolfgang Hatz und Audi-Boss Rupert Stadler saßen bereits in U-Haft. In Braunschweig waren es über 40 Personen, in München zählte die Liste der Beschuldigten 20 Namen, während die Stuttgarter Strafverfolger gegen ein halbes Dutzend Porsche-Mitarbeiter ermittelten. In Deutschland geht man davon aus, dass der Prozess gegen Winterkorn und die vermeintlichen Hintermänner erst 2020 startet. Hollywood ist schon auf Stand-by: Leonardo DiCaprio wird das Dieseldrama verfilmen. Volkswagen bleibt nichts erspart.

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