Wenn es im Leben der britischen Sportwagenmarke Lotus eine Konstante gibt, dann ist es das Auf und Ab. 1952 vom genialen Konstrukteur, aber katastrophalen Kaufmann Colin Chapman gegründet, stand die Marke stets für Leichtbau, Motorsport und finanzielle Probleme. Als er 1982 starb, wanderte das Unternehmen mit Sitz in Norfolk durch diverse Hände: General Motors, Romano Artioli – dem damals auch Bugatti gehörte –, Proton und seit 2017 gehören dem chinesischen Geely-Konzern 51 Prozent der Anteile.

Der Autoriese steigt jetzt aufs Gas, soll die Marke doch die karierte Flagge der Sportwagen in seinem Markenportfolio hissen. Die Ingenieure im britischen Hethel dürften jedenfalls zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit nicht von akuten Geldsorgen gebeutelt sein.

Als Startschuss dieser neuen Ära haben sich die Briten deshalb gleich einen Superlativ vorgenommen: Das erste wirklich neue Modell seit dem Jahr 2008 wird ein elektrisches Hypercar mit einer angepeilten Maximalleistung von 2000 PS, 1700 Newtonmetern Drehmoment und Allradantrieb. Das ist ein gleich vierfacher Aufbruch in eine neue Ära der Marke – noch nie gab es ein Hypercar, noch nie eines mit Allrad, noch nie war eines elektrisch und auch noch nie so schwer. Mit 1680 Kilogramm ist der Evija zwar für ein Elektroauto fast schon federleicht, aber in Lotus-Dimensionen quasi ein Lkw.

Aber natürlich ist er sauschnell. In guter Motorsporttradition hat sich der elektrische Antriebsstrang seine Sporen in der Formel E verdient. Wie dereinst auf den Verbrennungsmotor, blickt man jetzt durch die gläserne Scheibe auf den Akku: Die 2000-kW-Batterien sitzen in Mittelmotorlage hinter den Sitzen und setzen vier Elektromotoren unter Strom. Die beamen den Evija in weniger als drei Sekunden von 0 auf 100 km/h und in nur sechs Sekunden mehr auf Tempo 300. Der 4,46 Meter lange Sportwagen hört erst bei 320 km/h auf zu beschleunigen.

Sagen wir es so: Wer diese Fahrweise an den Tag legt, für den rückt die maximale Reichweite von 400 Kilometern in weite Ferne. Der Evija kann aber nicht nur schnell fahren, sondern auch schnell laden: Die Batterie hält 800 kW Ladeleistung aus – geht man von der spärlich vorhandenen Infrastruktur mit 350 kW aus, soll der Akku laut den Briten in 18 Minuten vollgeladen sein.

Optisch ist die nur 1,12 Meter niedrige Flunder ganz und gar auf gute Aerodynamik getrimmt, dem auch die Außenspiegel zum Opfer gefallen sind (ersetzt durch Kameras und Displays im Innenraum). Zwei Venturi-Kanäle ziehen sich durch das Kohlefasermonocoque und münden in einer LED-Umrandung, womit das Ganze dann wie der Nachbrenner eines Jets aussieht. Durch den Doppeldecker-Frontspoiler saugt er frische Luft an, um die Akkus zu kühlen.

Das Interieur fällt ähnlich dramatisch aus: Der Weg hinein führt durch Schmetterlingstüren ohne Griffe, die Sitze bestehen aus leichtem Carbon und sind mit Alcantara bezogen, das Lenkrad ist von der Formel 1 inspiriert, die Mittelkonsole mit ihren dreidimensionalen „Bienenwaben“ soll das Bedienen während der Fahrt leichter machen, die wichtigen Informationen konzentrieren sich auf den einen und einzigen Bildschirm.

Wer gerade 1,9 Millionen Euro – und noch ein bissl mehr für die Steuern – auf der hohen Kante hat, der sollte flott die 280.000 Euro Anzahlung überweisen. Vom Evija werden nämlich nur 130 Stück gebaut. Oder wie es CEO Phil Popham mit typisch britischem Understatement ausdrückt: „Der Preis wird die Stückzahlen eingrenzen.“

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