Die Entscheidung birgt eine politische Brisanz: Deutschland soll doch noch internationaler Vorreiter beim autonomen Fahren werden, dafür wurde jetzt sogar ein Gesetz beschlossen: Fahrerlose Kraftfahrzeuge der sogenannten Stufe vier (von fünf) können ab 2022 im Regelbetrieb am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen, damit sind umfangreiche Tests möglich. Bei dieser vierten Stufe darf der Computer bei bestimmten Anwendungen vollständig die Kontrolle über das Auto übernehmen, ohne von einem menschlichen Fahrer überwacht zu werden.

Dass die autonome Mobilitätsbewegung jetzt in Europa Fahrt aufnimmt, kommt nicht überraschend. Die Amerikaner haben vorgelegt, Google und Co einen Vorsprung herausgefahren.

Das Geschäftsmodell für autonome Taxis oder autonomen Services, online abrufbar, verspricht aber Milliardenumsätze, deshalb wird weltweit geforscht.

Die zehn größten Städte in den USA und in Europa machen 50 Prozent des Marktes für Fahrdienste aus. In Deutschland leben 77 Prozent der Bevölkerung in Städten. Es geht hier um einen Markt mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro. Das lockt die Industrie an, angesichts des vorprogrammierten Bruchs mit unserem Verständnis von der Mobilität und einem revolutionären Ansatz, der alles verändern wird.

Ohne Faktor Mensch

Selbstfahrende Autos haben nicht nur das Potenzial, den Verkehr sicherer zu machen, sie senken auch die Umweltbelastung, weil sie besser steuerbar sind und den Faktor Mensch ausschalten.

Unnotwendige Brems- und Beschleunigungsmanöver sind dann zum Beispiel Staub der Vergangenheit – Bremsen- und Reifenabrieb verursachen heute immerhin schon mehr Feinstaub als Euro-6-Verbrennungsmotoren.

Und für alle, die kein eigenes Auto mehr besitzen, aber auf individuelle Mobilität nicht verzichten wollen, sind autonome Autos der Lockstoff für eine unverbindliche Liaison mit den Autoherstellern – etwa über Abomodelle und Robotaxis.

Jene, die noch selbst fahren wollen, aber auf faden Autobahnen Besseres zu tun haben, sollen sich in Zukunft Extradienste, die autonomes Fahren ermöglichen, online ins Auto holen können.

Kurzum: Was die Industrie durch wegbrechende Verkäufe, fehlende Serviceleistungen und Reparaturen an Umsätzen verliert, soll über diesen Weg wieder zurückgeholt werden.

8 bis 10 Euro pro Tag

Ab 2026 will Volkswagen solche Programme auch für Private anbieten. Autonomes Fahren werde die größte Veränderung für die Branche, sagte etwa Volkswagen-Konzernlenker Herbert Diess: „Es wird sich über das Jahr 2025 hinaus ziehen, bis das ein Geschäftsmodell wird.“ Dann könne es schnell gehen. „Ich erwarte, dass 2035 etwa 40 Prozent aller Autos autonom fahren können“, so Diess. So ein Dienst könne dann für acht bis zehn Euro pro Tag verfügbar sein.

Aber nicht nur Volkswagen arbeitet an solchen Projekten: Mobileye, ein Unternehmen des US-Chip-Konzerns Intel, will bereits 2022 mit einem autonomen Shuttleservice in Deutschland loslegen. Waymo, die Google-Tochter hat in Arizona bereits einen autonomen Taxidienst im offiziellen Betrieb. Auch Apple soll an Robotaxi-Konzepten arbeiten.

Abwehrschlacht

In der Autoindustrie gibt es also nicht nur interne Konkurrenz, sondern sie schlägt auch eine Abwehrschlacht gegen die großen Softwarekonzerne des Silicon Valley, die das Auto nur noch als notwendige Hardware für ihre alles bestimmende Software betrachten.
Genau das will die klassische Autoindustrie verhindern.

Eines der interessantesten Projekte kommt nach Deutschland. Zuerst im Testbetrieb rund um den Flughafen München, und ab 2025 will Volkswagen den Elektro-Bulli ID. Buzz als Robotaxi durch Hamburg fahren lassen, bevor man weltweit mit einem kommerziellen Modell loslegt.

Die Technik kommt dabei von Argo AI, an dem Unternehmen sind Volkswagen und Ford beteiligt. Gegründet wurde Argo AI von einem der Gurus der Branche: Bryan Salesky legte mit Peter Rander den Grundstein. Salesky war Hardware-Chef bei Googles Autonomie-Projekt, Rander Mitbegründer von Ubers Autonomieteam – dem Taxidienst, dessen Zukunft auch im autonomen Fahren liegen soll.

Der ID. Buzz wird mit einer Kombination aus Kamerasystemen, Radarsensoren und Lasern gespickt sein. Sein Lidar-Scanner arbeitet mit Lichtwellen und kann Objekte aus einer Distanz von bis zu 400 Metern erfassen. Der patentierte Geigermodus kann selbst kleinste Partikel „sehen“ (ein Photon!), und ganz schwach reflektierende Objekte erkennen. Die kommerzielle Umsetzung übernimmt die VW-Tochter Moia. Ziel: Erschließung von Städten mit autonomen Shuttles und Kurier-Fahrzeugen (Zustelldienste etc.).

Mehr zum Thema