Visionen hatte der letztes Jahr verstorbene VW-Lenker Ferdinand Piëch immer schon. Und auch genug Feinde, die dem Vordenker oft genug nicht folgen konnten oder wollten, und den Automobil-Tycoon für seine Geistesblitze gerne vorweg zürnten. So war es auch bei der Autostadt Wolfsburg, die Piëch in seiner Zeit als Boss der Volkswagen AG gegen so manche Widerstände vor 20 Jahren aus der Taufe hob.

Auf einer Fläche von 35 Fußballfeldern hatte der Konzernchef vor der Kulisse des geschichtsträchtigen Stammwerks mit dem symbolhaften Backstein-Kraftwerk einen einzigartig inszenierten Campus entstehen lassen, der die Konzernwelt des deutschen Autoriesen mit all seinen Marken abbilden und das Thema Kundenbindung und Neuwagenauslieferung neu definieren sollte.

Die Autostadt liegt direkt am Mittellandkanal zwischen der Wolfsburger Innenstadt und dem Volkswagenwerk
Die Autostadt liegt direkt am Mittellandkanal zwischen der Wolfsburger Innenstadt und dem Volkswagenwerk © Autostadt GmbH (Anja Weber)

Vor allem in den deutschen Medien bekam Piëch für sein kühnes Projekt sein Fett weg. Sie prophezeiten dem Themenpark ein Milliardengrab: Wer, bitteschön, sollte sich in diese wenig schmucklose Gegend am deutschen Mittellandkanal verirren, um sein Auto selbst abzuholen?

Selbst die Manager von Ritz Carlton waren zunächst skeptisch. Ob der Fleck mit Blick auf die Schornsteine tatsächlich der richtige Platz für das erste Haus der renommierten Hotelkette in Deutschland sein sollte, wurde angezweifelt. Man sicherte sich insofern ab, als vereinbart wurde, dass Volkswagen unter 60 Prozent Auslastung gerade stehen sollte. Fakt ist, dass Volkswagen nie dazuzahlen musste. Und das Ritz Charlton Wolfsburg schon bald zum besten Hotel Norddeutschlands gekürt wurde.

Ferdinand Piëch hatte sich die Autostadt in den Kopf gesetzt
Ferdinand Piëch hatte sich die Autostadt in den Kopf gesetzt © Volkswagen AG

Schnell war klar, dass Piëch mit seinem untrüglichen Gespür für Entwicklungen und Zeitgeist wieder einmal richtig gelegen war. Die Autostadt Wolfsburg entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zu einem Wallfahrtsort der Volkswagen-Community, wo Kunden spektakulär aus den beiden gläsernen Zylindertürmen ihre Neuwagen ausgeliefert bekommen und sich danach in den Marken-Pavillons des Konzerns vergnügen können.

Die Autostadt geriet aber auch zügig zu einem Hotspot der Freizeitgesellschaft aus nah und fern: ganzjährig geöffnet, sind das KonzernForum und das ZeitHaus Schauplätze ständig wechselnder Ausstellungen, Festivals und Konzerte, es gibt sechs Restaurants und neuerdings eine Event-Location namens "Hafen 1“, die für Großveranstaltungen und Konferenzen genutzt werden kann.

Kunden holen ihre Fahrzeuge aus den Auslieferungstürmen
Kunden holen ihre Fahrzeuge aus den Auslieferungstürmen © Autostadt GmbH (Anja Weber)

In 20 Jahren haben über 42 Millionen Besucher die Drehkreuze passiert, die Autostadt zählt zu den beliebtesten Ausflugszielen Deutschlands. Die Pandemie erzwang im Jubeljahr eine zweimonatige Sperre, ein Großteil der Feierlichkeiten fielen Corona zum Opfer. Für Gebäude und geschlossene Räume ist auf Grundlage behördlicher Vorgaben eine maximal zulässige Personenzahl angeordnet, für Gäste und Kunden in den Shops, Ausstellungen, im Museum und den Markenpavillons herrscht Maskenpflicht.

Ferdinand Piëch, im Vorjahr im Alter von 82 Jahren verstorben, erklärte in seiner Autobiografie, dass ein Markenpavillon ihn am meisten begeistere. "Ich denke, es ist Lamborghini mit diesem bösen minimalistischen Quader, in dem ganz plötzlich ein wunderbares Getöse ausbricht“, sagte Piëch. Klingt wie ein letzter Gruß des Petrol Heads an den von ihm geschaffenen weltgrößten Autobauer, der sich nun der Elektromobilität verschrieben hat.

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