Von Gerald Enzinger

Helmut Marko
Helmut Marko © kk

Es ist das gefährlichste Autorennen der Welt. Le Mans gewinnt man nicht, es lässt dich gewinnen. Drei österreichischen Piloten wurde dieser Gnadenakt gewährt: Jochen Rindt 1965, Alex Wurz 1996/2009 und Dr. Helmut Marko, der 1971 das schnellste Rennen des Jahrhunderts gewann und dabei unvorstellbare 14 Stunden selbst am Steuer des Porsche 917 saß. Ein Anlass, um sich mit dem Sieger auf eine Zeitreise zu begeben – über 24 Stunden und 5335,313 Kilometer, die der Porsche in einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 222,304 km/h gefahren ist. Top-Speed: 384.

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Ein Sieg, der bei Helmut Marko lange Übelkeit auslöste, wegen des Geruchs: „Ich hatte nur einen Overall, und bei der Siegerehrung hat sich der Schweiß und das alles mit dem Champagner vermischt. Danach mussten wir noch bis Mitternacht auf Tour zu allen Sponsoren, erst dann kam ich zum Duschen. Jahrzehnte später ist mir immer noch schlecht geworden, wenn ich Champagner roch.“
Es hätte schlimmer kommen können. 118 Menschen haben allein im 20. Jahrhundert ihr Leben in Le Mans verloren. Auf einer Rennstrecke, die zum Teil aus normalen Straßen besteht. „Hier bist du dem Sensenmann ein gutes Stück näher“, pflegt Alexander Wurz zu sagen – bizarrerweise auf die Frage, warum er dieses Rennen so liebt wie kein anderes. Doch 1971 war es noch ärger.

Gerade auch im 917, weiß Marko: „Das Auto galt als Biest, das für fast alle unfahrbar war. Einige starben darin und unsere Reaktion war typisch für diese Zeit. Wir sagten: Na ja, wenn sie nicht fahren können ...“ Heute erst weiß er, wie es wirklich war: „Damals dachten wir: Es war Riesenpech, wenn etwas passiert ist. Dabei war es genau umgekehrt: Es war ein Riesenglück, wenn nichts passiert ist.“ Bei Geschwindigkeiten nahe an der 400-km/h-Marke und Bäumen, Mauern und Häusern direkt neben der Strecke „waren unsere eigenen Füße die Sicherheitszonen. Da waren eine Polyester-Abdeckung und so ein kleines, dünnes Stangerl – das war alles, was an Knautschzone da war. Aber an das durfte man nicht denken, und an das dachte man auch nicht.“

Marko schlief, spät in Le Mans angekommen und übermüdet, die erste Nacht irrtümlich in einem falschen Schloss. Offensichtlich hatte er seine Argumente, dass er nun hier wohnt, so überzeugend dargebracht, dass die Hausherrin den wildfremden Mann trotzdem übernachten ließ. Erst am nächsten Tag klärten die Teamkollegen, die in einer wesentlich schöneren Herberge schliefen, den Irrtum auf. Teampartner von Marko war der Niederländer Gijs van Lennep: „Wir kannten uns, waren eingespielt. Er akzeptierte, dass ich schneller war. Deshalb fuhr ich wesentlich länger, nämlich 14 Stunden.“

Helmut Marko
Helmut Marko © GEPA pictures/ Andreas Pranter

Training gab es sowohl tagsüber als auch in der Nacht: „Das war urig. Porsche hatte drei Kilometer entfernt eine Werkstatt angemietet und von dort sind wir immer mit dem Rennauto über die normale Straße auf die Rennstrecke gefahren. Was gefährlich war, denn die meisten fuhren mit 40 km/h. Wenn du aber in einem 917 Gas gibst, bist du gleich einmal auf 200.“
Es war fast unmöglich, diesen Rennwagen, der der letzte dieser Regel-Generation werden sollte, zu bändigen. „Das Hauptproblem war der unglaubliche Speed. Und dann begann noch etwas: Wir hatten seit Beginn der Saison Reifenablösungen von der Felge. Die Last dieser ganzen Kraft des Autos war einfach zu groß.“ Trotzdem war rasch klar, die Konkurrenz von Ferrari & Co. würde gegen Porsche chancenlos sein. Damit brach der interne Kampf unter den Porsche-Besatzungen aus. Und der Streit um die Verteilung der Prämien.

Anstrengend und lebensgefährlich ist es trotzdem vom ersten Meter an. Und ungemütlich: „Wir hatten keine Lüftung. Du hast kaum Luft ins Auto bekommen – aber die, die du bekommen hast, die war tagsüber sauheiß und in der Nacht saukalt. Aber du konntest dich gar nicht richtig verkühlen, dafür warst du zu angespannt.“ So rast man über die Gerade, bei 380, man muss gegenlenken, um gerade zu bleiben, und auf die wehenden Flaggen sehen, um die tödliche Gefahr des Windes einschätzen zu können. Und das an einem spartanischen Arbeitsplatz, der nur aus ein paar Knöpfen besteht und aus wenigen Informationsstellen: „Drehzahlmesser, Öldruckkontrolle. Und ein paar Lamperln.“
Es kann jede Sekunde vorbei sein: Ein kleines Teil, das bricht; ein langsameres Auto, das im Weg steht – es gibt viele Wege, in Le Mans zu sterben. Umso intensiver nimmt man das Leben im Wagen wahr – und das Volksfest mit rund 300.000 Fans neben der Strecke. „Du hast die Bratwürstl gerochen, über einigen Kurven lag ein Biergeruch. Aber auch der Geruch, wenn ein Auto vor dir Bremsprobleme hat, oder das Öl, wenn ein Motor wo hochgegangen ist.“ Ein Fest der Sinne.

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In den letzten Stunden entbrennt ein Porsche-Duell um den Sieg. Hier Marko, dort Herbert Müller. Sie begegnen sich bei Tempo 340 und sehen sich an. Marko setzt sich durch und wird am Ende siegen. Es wird bis ins Jahr 2010 dauern, bis jemand seinen Distanzrekord brechen wird. Und es wird Tage dauern, bis er wieder einen Telefonhörer halten kann, die Finger steif von Zehntausenden Schaltmanövern.
Erst kürzlich hat der Grazer sein Auto wiedergesehen, im Porsche-Museum. Nach Jahrzehnten ist ihm bewusst, was für eine Brandbombe diese De-facto-Versuchswagen aus Magnesium in jener Zeit waren und welche tiefen Risse die Bremsscheiben schon hatten.

Im Vorjahr in Spielberg ist er einen 917 gefahren. „Ich wollte langsam fahren, für die Show. Doch dann merkte ich, wie der Schalter umlegt im Hirn – plötzlich fährst du voll, stehst quer. Unwahrscheinlich, wie schnell der Rennmodus kommt.“
1971, im Jahr von Markos Sieg, ist der Kultfilm „Le Mans“ in die Kinos gekommen. Er selbst hat ihn erst Jahre später gesehen, erinnern kann er sich nur an eines: „Den Ton. Dieses Gekreische des luftgekühlten Porsche auf der Geraden. Einzigartig.“ Nachsatz, ausgesprochen: „Wegen dem höre ich jetzt wahrscheinlich schlecht.“ Nachsatz, gedacht: Das war es wert.