Interview: Gerhard Nöhrer, Didi Hubmann

Wolfgang Porsche (75) lädt in sein Zuhause, in seine „Heimat“: Das Schüttgut in Zell am See, ein rund 600 Jahre alter Bauernhof, ist sein Refugium. Dorthin hatte es seine Familie in den Nachkriegswirren verschlagen, das Haus wurde zum Porsche-Stammsitz und Ort denkwürdiger Familienentscheidungen. Hier lebt die wechselvolle, teils dramatische Geschichte der Porsche-Dynastie. Hier, in der Familiengruft, sind Porsche-Familienmitglieder beigesetzt. Wie der legendäre Konstrukteur Ferdinand Porsche, sein Sohn Ferry, der mit dem Modell 356 vor 70 Jahren den Mythos Porsche begründete, sowie seine Schwester Louise Piëch, die das österreichische Handelsunternehmen Porsche aufbaute.

Langsam öffnet sich die Tür ins Haupthaus. Das Schüttgut gehört heute Ferrys Sohn Wolfgang Porsche: Er ist Sprecher der Familie, sitzt in entscheidenden Gremien, agiert als Aufsichtsrats-Chef bei der Porsche AG und bei der Porsche SE, über die die Familien Porsche und Piëch eine Stimmenmehrheit am gesamten Volkswagenkonzern halten. Nach einer kurzen Begrüßung geht es in den ersten Stock. Das Haus wirkt stilvoll, selbst die Kuhglocken von den Almabtrieben passen ins klassisch-rustikale Ambiente.

Das Schüttgut muss Ihnen sehr viel bedeuten ...
Wolfgang Porsche: ... das Schüttgut ist meine Heimat. Weil ich wusste, wie sehr mein Vater es geliebt hat, habe ich es übernommen. Und weil ich mich hier zu Hause fühle. Das war damals in den Nachkriegsjahren ein reges Leben: Vier Porsches, vier Piëchs und drei Cousins mütterlicherseits, wir waren alle hier.

© Oliver Wolf

1948, als Sie fünf Jahre alt waren, wurde der Mythos Porsche von Ihrem Vater Ferry mit dem Modell 356 begründet. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Mein Vater ist unter der Woche im Konstruktionsbüro in Gmünd gewesen und manchmal sind meine Mutter und ich vom Schüttgut nach Gmünd gefahren. Mir wurde es beim Autofahren immer schlecht, egal, wo ich gesessen bin. Glockner, zweite Kehre: Da war mir schon übel. Ein Gefühl für die Marke habe ich mit sieben, acht Jahren bekommen. Ich bin da relativ früh mit dem 356er gefahren – in die Garage hinein und wieder hinaus. Also habe ich zuerst oben geschaut, wo es hingeht – und dann die Pedale bedient (lächelt).Sie haben sieben Jahrzehnte Porsche-Geschichte miterlebt. Porsche stand am Abgrund, Porsche feierte Comebacks: Wo liegen die Meilensteine im Rückspiegel?
Natürlich ist in den 70 Jahren viel passiert: 1972 sind die Familienmitglieder aus den operativen Funktionen bei Porsche ausgeschieden, eine Zäsur. 1984 ist Ernst Piëch ausgestiegen, die Familie hat es geschafft, die Anteile aufzufangen, allerdings mit einem Börsengang – die Familie bekam alle Stammaktien. Dann folgten immer schwerere Zeiten, wir haben nur noch 12.000 Autos im Jahr produziert, standen am Abgrund. Eine Zeit lang waren wir ein Auto mit vier Rädern, mehr Porsche war da nicht. Ab 1992, mit Wendelin Wiedeking als Vorstandvorsitzendem, hat sich alles gedreht. Ich habe letztlich viele wichtige Entscheidungen im Produktbereich mitgetragen: Boxster, Cayenne, das schaut heute so klar aus – aber niemand hat gewusst, ob das wirklich was wird.

In den turbulenten Jahren stand sogar das Aus für den 911er zur Debatte.
Der damalige Vorstandsvorsitzende Ernst Fuhrmann hatte erklärt, dass der 928er den 911er ablösen sollte, weil er am Nürburgring schneller war. Unsere Familie hat das verhindert. Was würden wir heute machen, wenn wir den 911er nicht mehr hätten? Wahrscheinlich würde es Porsche gar nicht mehr geben.

Der Erfolg ließ den Sportwagenhersteller Porsche kühne Pläne schmieden. Man wollte in der Wiedeking-Ära den viel größeren VW-Konzern schlucken. Wolfgang Porsche, der nach dem Tod seines Vaters Sprecher der Familie wurde, lieferte sich davor und danach Auseinandersetzungen mit seinem Cousin Ferdinand Piëch, dem ehemaligen VW-Chef. Piëch hatte seine Porsche-Verwandten sogar als Hausschweine und sich selbst als Wildschwein bezeichnet. Höhepunkt der jahrelangen Querelen war der Konflikt um die VW-Übernahme – eine schwierige Zeit für das Unternehmen Porsche.

Wie stehen Sie zu Ihrem Cousin heute?
So einfach, wie der Ferry Piëch gedacht hat, kann man es sich nicht machen. Das Zitat Hausschwein/Wildschwein ist entstanden, weil wir in die Waldorfschule gegangen sind. Aber nur deshalb, weil wir in Deutschland beim Schulwechsel keine andere Möglichkeit hatten. Ich muss mit dieser Mär aufräumen, dass alle Porsches Anthroposophen sind. Ich frage mich ja immer wieder, wie jemand mit so einer tollen Lebensleistung sich selber so ins Abseits bringen konnte.

Porsche hätte beinahe VW geschluckt. Gekommen ist es im Konflikt Wiedeking/Piëch anders: Die Familien haben ihren Besitz – also Porsche und die Porsche-Holding, den größten Autohändler Europas – in den VW-Konzern eingegliedert.
Das ist richtig. Damals war alles auf den ersten Blick nicht so einfach, wie es gelaufen ist. Aber heute haben sich beide Unternehmen unter dem Dach des Volkswagenkonzerns gut weiterentwickelt.
Sie besitzen heute die Mehrheit am Volkswagenkonzern. In turbulenten Zeiten. Wie schwer wiegt der Vertrauensverlust, was Audi und Volkswagen betrifft?
Mir wäre lieber gewesen, wir hätten ein paar Autos weniger verkauft, wären nicht der größte Hersteller der Welt und hätten uns das Thema erspart. Es sind Fehler gemacht worden. Natürlich sind Kunden enttäuscht. Aber es gibt noch mehr, die unsere Autos kaufen. Wir müssen alles tun, um das Vertrauen aller Kunden zurückzugewinnen. Mit Konzernchef Diess sind wir auf einem guten Weg.

"Der 911er wird auch in der nächsten Generation als Verbrenner unterwegs sein."

"Wir bauen heute 260.000 Autos, haben rund 30.000 Mitarbeiter, die sollten alle Porscheaner werden. Und wir dürfen nicht zum Großkonzern mutieren." Wolfgang Porsche
"Wir bauen heute 260.000 Autos, haben rund 30.000 Mitarbeiter, die sollten alle Porscheaner werden. Und wir dürfen nicht zum Großkonzern mutieren." Wolfgang Porsche © Oliver Wolf

Zurück zu Porsche: Wie sehen Sie die Zukunft der Sportwagenmarke?
Mein Vater hat gesagt, das letzte Auto wird ein Sportwagen sein. Wie lange wir Verbrenner haben, weiß ich nicht: Aber beim 911er wird es lange sein, weil es ein Spaßfaktor ist. Der 911er wird auch in der nächsten Generation als Verbrenner unterwegs sein. Wenn der Kunde aber der Meinung ist, er will einen Elektro-Porsche, dann bekommt er ihn. Wir machen Autos ja nicht zum Selbstzweck. Wichtig ist: Wir bauen heute 260.000 Autos, haben rund 30.000 Mitarbeiter, die sollten alle Porscheaner werden. Und wir dürfen nicht zum Großkonzern mutieren.Fürchten Sie um die Markenidentität?
Wir müssen vorsichtig sein.

Gibt es etwas, was Porsche überhaupt nicht machen soll?
Einen noch kleineren Porsche, auch wenn es solche Pläne schon gab.

Sie haben einmal in einer Rede gesagt, der Mythos Porsche werde nie untergehen, nie sterben. Was macht den Mythos aus?
Wenn man das immer so erklären könnte! Der Mythos nährt sich aus einem gewissen Lifestyle, der Begriffe wie Bescheidenheit und Rücksichtnahme kennt. Und aus einem großartigen Auto. Und, vielleicht ist es auch ein kleiner Mosaikstein, dass es eine Familie zur Marke gibt, die nicht nur in Quartalsberichten denkt.

Jetzt wird auch Porsche elektrisch: Die Studie Mission E kommt 2019.
Es war uns wichtig, dass der erste Elektro-Porsche direkt aus Stuttgart kommt. Auch unseren Mitarbeitern. Deshalb geben sie einen kleinen Teil ihrer Gehaltserhöhungen als Zukunftsbeitrag für die großen Investitionen in die E-Mobilität ab. Auch das zeigt unser Zusammengehörigkeitsgefühl.

Ein E-Porsche ist kein Problem für Sie?
Mein Großvater hat schon Elektromobile gebaut!

Sie steigen auch in die Formel E ein. Ist die Formel 1 abgehakt?
Die Formel E ist dafür da, um der E-Mobilität Schwung zu geben. Für wichtiger halte ich, dass wir den klassischen Kundensport stärker unterstützen. Die Formel 1 steht nicht auf der Agenda.

© Oliver Wolf

Auch nicht mit Didi Mateschitz?
Derzeit ist es kein Thema.Die vierte Familiengeneration findet langsam ins Unternehmen: Gibt es jemanden, der aus der heutigen Sicht Ihre Rolle übernehmen könnte?
Wenn ich schon einen Kandidaten nennen soll: Am ehesten mein jüngster Neffe Ferdinand Oliver, er sitzt in wichtigen Entscheidungsgremien bei VW, Audi, in der Porsche AG und in der Holding.