Eine einsame Landstraße, später Nachmittag. Man hat ein paar Minuten zuvor den Knopf „Autonom fahren“ gedrückt, surft über den iPad-ähnlichen Bildschirm an der Mittelkonsole, schaut sich ein Video vom letzten Urlaub an. Dieser Strand, dieses Wasser . . .

Plötzlich blinkt ein rotes Licht im Auto, Alarm, im Augenwinkel erfasst man gerade noch die Situation. Von links will ein Golden Retriever über die Straße, rechts läuft ein kleines Kind auf seinen Hund zu. Das Auto im Gegenverkehr blendet auf. Der Unfall ist jetzt unvermeidbar, der Mensch kann nicht mehr eingreifen. Jetzt muss das Auto entscheiden, das denkt – und dank seiner Hightech-Sensoren auch das Auto lenkt.

Car-to-X-Kommunikation ist ein nächster Schritt des autonomen Fahrens
Car-to-X-Kommunikation ist ein nächster Schritt des autonomen Fahrens © (c) Neyro - Fotolia

Entscheidungsbasis sind Algorithmen, laut Wikipedia vereinfacht erklärt „eine eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems oder einer Klasse von Problemen. Algorithmen bestehen aus endlich vielen, wohldefinierten Einzelschritten. Somit können sie zur Ausführung in einem Computerprogramm implementiert werden“.

Diese Algorithmen sind längst in unser Leben vorgedrungen, Google arbeitet mit speziellen Algorithmen bei jeder Suchanfrage – genauso wie Siri, die Computerstimme des iPhones. Erst mit den Algorithmen erreichen die Maschinen ihre Logik, ihre Klarheit, ihre Hilfsbereitschaft, die uns so fasziniert.

Aber jetzt: Wer darf leben, wer muss sterben? Das entscheidet eine Maschine.

Autos warnen sich gegenseitig

Google machte beim autonomen Auto den Anfang, mit Sensoren, Kameras, zusammengestoppelt in lächerlich anmutenden Aufbauten. Heute erhalten die neuen Google-Knutschkugeln – süße mobile Einzeller, mit Auto-Zulieferern realisiert – Respekt. Mercedes, Audi, BMW, alle sind sie auf den autonomen Zug aufgesprungen, haben eigene Modelle kreiert oder Serienmodelle mit aufwendiger Technik aufgemotzt und sogar für Drifts auf der Rennstrecke programmiert. Autonom, versteht sich.

Gesteuert wird unter anderem über Laserscanner, die eine Coladose von einem Dackel unterscheiden können, oder Mehrfach-Radarsystemen, die Hunderte Meter nach vorne und hinten schauen können sowie Kameras und Sensortechnik. Nächster Schritt: Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Autos, um sich gegenseitig zu warnen.

Zum Beispiel: Achtung, entlang der Landstraße XY rennt ein Kind mit Hund. Für den hochkomplexen Stadtverkehr müsste jeder Baum, jedes noch so kleine Detail digitalisiert werden. Auch hier matchen sich die Konzerne: Audi, Mercedes und BMW haben einen digitalen Kartendienst eingekauft, um der Daten-Abhängigkeit von Google zu entkommen.

Googles Auto hat weder Lenkrad noch Pedale
Googles Auto hat weder Lenkrad noch Pedale © (c) APA/AFP/Noah Berger (Noah Berger)

Mit den Informationen, die gesammelt werden, erhalten die Autos klare Entscheidungshierarchien. Entscheidungen werden doppelt abgeklopft, damit kein Irrtum passiert. Sensoren werden fusioniert, wie in einem menschlichen Gehirn. Aber der Mensch entscheidet auch mithilfe von Erfahrung, wir interpretieren: Lamborghini – aha, aggressiv. Renault Espace: Familienvaterauto, der tut doch nichts. Dementsprechend fahren wir.

Im Autocomputer, der alle Daten von seinen elektronischen Sinnesorganen sammelt und aufsaugt, sind Logiken vorimplementiert, die keine Emotionen besitzen. Aber damit auch keine Moral, mit der sie nach unseren Begriffen entscheiden könnten. Das macht sie faszinierend und angsteinflößend zugleich. Was ist wichtiger: das Leben des Hundes oder des Kindes? Wer entscheidet? Der Programmierer, der die Algorithmen beherrscht, wird zum Herrscher über Leben und Tod. Zu einer Art Gott?

Der Mercedes F 015 zeigt Fußgänger, dass er sie erkannt hat, indem er einen Zebrastreifen auf die Straße projiziert
Der Mercedes F 015 zeigt Fußgänger, dass er sie erkannt hat, indem er einen Zebrastreifen auf die Straße projiziert © Daimler

Diese Fragen müssen beantwortet werden, ehe ab 2017 die autonome Welle ins Rollen kommt. Bis 2030 wollen alle Hersteller groß im Geschäft sein. Aber es gilt auch noch, rechtliche Hürden zu nehmen. Google verzichtet etwa in seinem autonomen Auto auf Lenkrad/Pedale, die klassischen Autohersteller wollen ihre Fahrer noch nicht vollständig ausblenden. Sie wollen, dass der Fahrer noch eingreifen kann.

Ein Ziel, das alle verfolgen, ist klar: Mehr als 90 Prozent der Unfälle haben die gleiche Ursache – den Menschen. Dieser Faktor muss entschärft werden. Dass man beim autonomen Fahren Zeitung lesen oder surfen kann, ist nur ein angenehmer Nebeneffekt. Man stelle sich den Slogan vor: In unserem Auto wird nie mehr jemand sterben. Der Autohersteller, der das als erster schafft, hat einen Jackpot gewonnen.

Die neuen Gurus

Die IT-Spezialisten sind die neuen Gurus der Branche. Wenn „JJ“ Jungwirth auf den Bühnen des Genfer Autosalons seinem neuen Arbeitgeber Volkswagen – er arbeitete vorher bei Apple und Daimler – eine autonome Zukunft prophezeit, dann leuchten die Augen der altehrwürdigen Automanager. Ein Auto, das es schafft, ein Hort für die digitalen Nomaden, eine Art Playmobil zu werden: Dieses Wohnzimmer auf Rädern ist das nächste „Big Thing“.

Nicht umsonst arbeitet Apple an einer Art iCar. Wer mit so einer Revolution auf vier Rädern die jungen Autoverweigerer von heute gewinnt, der besitzt den Quellcode für das Geschäftsmodell der Zukunft. Denn vielen Jungen ist das Auto heute keine Herzensangelegenheit mehr.

Aber es geht nicht nur um das Autogeschäft, sondern um neue Mobilitätsmodelle, die Verwertung der Daten, mit denen etwa Google Milliarden scheffelt, und natürlich darum, den urbanen Lebensraum mit autonomen und im besten Fall emissionsfreien Fahrzeugen neu zu definieren – etwa über Carsharing („Autos teilen“).

Autos als soziale Roboter

Die Frage, ob der Computer aus Millionen Sensordaten und vorgegebenen Algorithmen richtig handelt, wird die Branche noch lange in ihren Bann ziehen. Deshalb sitzen jetzt in den Entscheidungsboards der Autoindustrie auch Robotiker, Kognitions- und Neurowissenschaftler, die uns die Angst vor den Maschinen nehmen sollen. Das aktuelle Google-Auto schaut ja nur deshalb so putzig aus, weil es positive Gefühle erwecken soll.

Denn längst geht es nicht mehr alleine um das Auto, digitale Revolutionen oder Wirtschaftskämpfe zwischen Google und Autoherstellern, sondern um die Fragen: Wie weit überlassen wir ihnen unser Leben? Wie weit wird uns künstliche Intelligenz begleiten – oder gar beherrschen? Autos wie Menschen werden lernen müssen, untereinander zu kommunizieren. Wir zum Beispiel über Gestensteuerung, Autos etwa über Projektoren. Der Mercedes F 015 zeigt dem Menschen an, dass er sie erkannt hat an, und projiziert einen Zebrastreifen auf den Asphalt.

„Das Auto wird ein sozialer Roboter sein“, sagt Martina Mara trocken. Sie muss es wissen. Sie leitet den Forschungsbereich Robopsychologie am Ars Electronica Futurelab und lehrt Maschinen und Menschen, sich zu unterhalten. Die Medienpsychologin und Kommunikationswissenschaftlerin war zuletzt maßgeblich am F 015 von Mercedes beteiligt. „Bei meinem Forschungsgebiet geht es darum, die Menschen in der Beziehung zur Maschine stärker in den Vordergrund zu bringen. Empathie, Kreativität und Humor wollen wir beim Menschen belassen. Es geht um Teambuilding zwischen Mensch und Maschine, jeder der beiden hat seine starken Seiten.“

Martina Mara leitet den Forschungs-bereich Robo-psychologie am Ars Electronica Futurelab
Martina Mara leitet den Forschungs-bereich Robo-psychologie am Ars Electronica Futurelab © KK

Natürlich weiß sie: „Ich habe mich in meiner Doktorarbeit damit beschäftigt, warum Menschen Roboter so gruselig finden – und wie sie aussehen müssen, damit sie akzeptiert werden. Das geht so weit, dass wir dem autonomen Auto beibringen, was Körperhaltung bedeutet: Wie entschlossen geht ein Mensch zur Kreuzung, will er überhaupt über die Straße? Aber menschliche Gesten sind auch nicht das Nonplusultra in jeder Situation. Es gibt kulturelle Unterschiede, manchmal fuchtelt man unabsichtlich herum, dann wird’s kompliziert. Das Auto kann nicht herumraten.“

Aber werden diese Maschinen, die so faszinierend sind, nicht auch zu einer Art Ersatzreligion – der Mensch als Schöpfer, die Maschinen als Propheten? Diese Fragen wird uns kein Algorithmus beantworten. Mara: „Ethiker, Techniker, Sozialwissenschaftler, Theologen müssen diskutieren, ob wir dahin wollen, wohin wir gerade gehen? Wir sind der robotischen Haushaltshilfe näher als je zuvor, wir sind künstlicher Intelligenz näher als je zuvor. Wollen wir das?“