Hätte mir vor drei Monaten jemand gesagt, dass ich heute diese Geschichte erzähle, ich hätte es nicht geglaubt. Eine Geschichte, die mit dem Anruf meiner Kollegin Daniela Breščaković beginnt. Und Ihrer Frage: "Hast du Lust, bei einer Geschichte mitzuarbeiten? Es geht um eine Therapie, in der Homosexuelle geheilt werden sollen." Daniela ist Redakteurin und arbeitet bei der Kleinen Zeitung. Ich zögere kurz – wusste nicht einmal, dass solche Therapien in Österreich überhaupt noch erlaubt sind. Und sage dann aber ziemlich schnell zu. Daniela hat im Rahmen dieser verdeckten Recherche eine Therapieeinrichtung ausfindig gemacht, die Schwulen und Lesben "Heilung" verspricht.

So lernte ich Heidi kennen

Zwei Monate nach diesem Anruf lerne ich Heidi kennen. Heidi heißt nicht so, wir haben den Namen für diesen Text anonymisiert. Heidi ist kommunikativ, spricht gerne über ihre Vergangenheit, die Zeit, bevor sie als Therapeutin gearbeitet hat. Davor hatte Heidi mehrere Friseursalons. Sie war gut in ihrem Job, hat es geliebt, sich mit ihren Kundinnen während des Haareschneidens zu unterhalten. Doch Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen, führte schließlich zur Ehekrise. Und so führte ihr Weg sie irgendwie zur Hagiotherapie?  Ein Weg aus der Verzweiflung und hinein in ein neues, erfülltes Leben, erzählt sie uns. Hagiotherapie beschreibt Heidi als "eine Gesprächstherapie zwischen Psychotherapie und Seelsorge".

"Homosexuelle sind Anomalien"

Bei der Hagiotherapie sei es das Ziel, die Menschen "geistig" gesund zu machen. "Dabei ist es aber ganz egal, welcher Religion man sich selbst zugehörig fühlt oder an welchen Gott man glaubt", betont Heidi. Und kommt dann ziemlich schnell zur Sache: "Homosexuell zu sein, das ist nichts anderes als eine Anomalie, eine Neigung, für die Heilungsbedarf besteht", sagt sie. In der ersten Stunde nimmt sie meine Daten auf. Eine genaue Dokumentation sei notwendig, "um das Problem zu beheben", sagt sie. Nur so könne die Hagiotherapie in Zukunft auch wissenschaftlich anerkannt werden. Heidi hat Theologie studiert, in einem Fernstudium, danach interne Kurse der Einrichtung besucht. Eine medizinische oder wissenschaftliche Ausbildung hat sie nicht.

Meditation und Loretto

In der ersten Stunde rät Heidi mir, jeden Tag zehn Minuten zu meditieren. So solle ich mir bewusst werden, was richtig und was falsch sei. Sie legt mir nahe, mich von meinem Freundeskreis zu distanzieren und mich stattdessen der Loretto Gemeinschaft anzuschließen. Die Loretto Gemeinschaft stand medial bereits mehrmals wegen "Sektencharakter" in der Kritik. Dort werden Jugendliche zu "Jüngern" ausgebildet, Sex vor der Ehe ist verpönt, Homosexualität ist nicht erwünscht. Durch den Kontakt würde es mir leichter fallen, den richtigen Weg zu finden, sagt mir Heidi.

Eine andere Möglichkeit, um mich von meiner Neigung, wie sie es nennt, zu lösen, sei "das Verdrängen", erklärt Heidi mir in einer anderen Stunde. "Das ist wie, wenn du ein gebrochenes Bein hast. Der ganze Körper funktioniert, nur das Bein nicht – deshalb lenkst du deine ganze Aufmerksamkeit auf das Kranke. Du musst das verdrängen, dich auf das Gesunde in deinem Körper konzentrieren." Ich hätte die Macht, die Entscheidung zu treffen, versucht sie mir einzubläuen. Ich soll mich dem "Guten" zuwenden. "Das ist wie mit Alkoholismus", zieht Heidi als Vergleich: "Sobald er zur Flasche greift, entscheidet der Alkoholiker sich für das Falsche. Sobald ich mich meiner Neigung hingebe, lasse ich mich vom Bösen verführen."

Schnell kommt Heidi zum Entschluss, was der Grund für meine Homosexualität ist und hat auch eine Erklärung für mich: Ich selbst könne nichts für meine Neigung. "Das ist dir durch ein schlechtes Verhältnis zu deinen Eltern in die Wiege gelegt worden." Mit der abgeschlossenen Recherche beenden wir die Therapie, in dem Wissen, dass es Menschen wie Heidi, die denken, dass Homosexualität eine Krankheit ist, immer geben wird. Es macht aber einen Unterschied, ob es ein Gesetz vom Staat gibt, der sexuelle Minderheiten schützt oder nicht.