Der Blick nach vorne fällt schwer, wenn die Vergangenheit allzu präsent ist: Eine von schwelenden Konflikten und fehlender Kommunikation geprägte Patchwork-Familie ist der Kern von "Le Passe" (Das Vergangene), dem ersten außerhalb des Irans gedrehten Film von Oscarpreisträger Asghar Farhadi ("Nader und Simin"). Am Freitag startet das in Cannes gefeierte Drama in den österreichischen Kinos.

Vier Jahre nach der Trennung kehrt Ahmad (Ali Mosaffa) auf Bitten seiner französischen Noch-Ehefrau Marie (Berenice Bejo) aus Teheran nach Paris zurück, um die Scheidung zu finalisieren. Dort stellt er fest, dass Marie mittlerweile mit einem neuen Mann Samir (Tahar Rahim) zusammenlebt, dessen Ehefrau im Koma liegt. Nicht nur Samirs kleiner Sohn rebelliert im ihm fremden Haus am Stadtrand von Paris: Die Beziehung zwischen Marie und ihrer ältesten Tochter Lucie (Pauline Burlet) ist sichtlich angespannt. Ahmad will in gewohnt besonnener Art vermitteln und wird so zum Katalysator inmitten schwelender Konflikte, denen ein Geheimnis aus der Vergangenheit vorangeht.

Sie ist es, die sämtliche Figuren im Verlauf der durchwegs intensiven 130 Filmminuten fest im Griff hat: die Vergangenheit. Gekonnt führt Asghar Farhadi in seinem Film auf, wie schwer es ist, diese hinter sich zu lassen. Langsam bringt er uns dem fragilen, komplizierten Familiengefüge näher, zeigt die Belastung und Entwurzelung, die Trennung und Neustarts mit sich bringen, durch die Augen jedes einzelnen Betroffenen - von den Zweifeln der Erwachsenen bis zur Ratlosigkeit der Kinder. Verdrängung, Schuld, Identität und Zweifel scheinen in jeder Bewegung, in jedem nicht ausgesprochenen Wort zu stecken.

Ohne Worte

So fängt der Film auch sprachlos an: Gerade am Flughafen angekommen, spricht Ahmad mit Marie durch eine Glasscheibe. Sie hören sich nicht, aber verstehen sich trotzdem. Im Auto am Weg ins Haus an der Bahntrasse werden sie sich hören - und streiten. Das tiefe Vertrauen ist noch spürbar, die Verletzungen, die die Trennung und Ahmads Depression bedingter Rückkehr in den Iran hinterlassen haben, ebenso. Das Zusammenspiel des Ensembles, das der Regisseur im Vorfeld der Dreharbeiten zu akribischen, ungewöhnlich langen Proben verpflichtet hatte, ist beeindruckend.

Mit "Le Passe" hat Farhadi erstmals einen Film außerhalb seiner Heimat gedreht und dem iranischen Schauspieler Ali Mosaffa mit Berenice Bejo ("The Artist") und Tahar Rahim ("Ein Prophet") zwei französische Schauspielstars an die Seite gestellt. Für ihre intensive Darstellung der zwischen den Stühlen sitzenden, zukunftsorientierten Marie wurde Bejo im Vorjahr verdient bei den Filmfestspielen Cannes als beste Darstellerin geehrt. Bei der Königin der A-Festivals lief Farhadis von Kritikern gepriesener Film im Wettbewerb. Eine natürliche Entwicklung nach den Berlinale-Bären für seine Vorgängerfilme "Alles über Elly" (2009) und "Nader und Simin - Eine Trennung" (2011) und dem Auslandsoscar für letzteren. Mit derart preisgekrönter Vergangenheit lässt es sich optimistisch in die Zukunft blicken.