Ein zutiefst traumatisiertes Land hat der österreichische Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Lukas Sturm als Schauplatz für seinen Thriller "Body Complete" (Kinostart am 18. Jänner) gewählt. Darin erzählt er die Geschichte einer Wiener Journalistin, die in Bosnien bei der Suche nach einer verschwundenen jungen Frau mit den ethnischen Säuberungen während des Bosnienkrieges (1992-1995) konfrontiert wird. "Das Thema hat eine Aktualität, die sich beim ersten Hinschauen gar nicht vermuten lässt", so Sturm im Gespräch mit der APA zum Kinostart. "Denn noch immer werden 10.000 Menschen vermisst."

Die Situation in Bosnien bezeichnet Sturm, der 2000 erstmals nach Sarajevo reiste, als "politisch verfahren". "Der Krieg war 1995 zu Ende, das ist bald 20 Jahre her. Aber noch immer herrscht dort so eine Traumatisierung, die man durch und durch spürt und von der sich die Menschen nur schwer befreien können", so Sturm. Vom Massaker von Srebrenica, bei dem im Juli 1995 rund 8.000 Bosniaken getötet wurden, werde immer wieder erzählt. Die danach erstellten Massengräber wurden von den Tätern mehrfach umgebettet, um die Taten zu verschleiern. "Da ist noch immer wahnsinnig viel Trauer und Leid, weil zum einen viele Opfer noch nicht gefunden worden sind", so Sturm. "Und zum anderen viel Zorn und Unverständnis, dass viele Kriegsverbrecher noch nicht verurteilt worden sind."

Der Artikel einer forensischen Anthropologin, welche die Massengräber aushebt und die Opfer mittels DNA-Analyse der Knochenfunde identifiziert, hat Sturm auf die Idee für seinen Film gebracht. Die Arbeit des ICMP (International Commission on Missing Persons) sei "politisch hoch interessant", da diese seit ihrer Gründung 1996 eine neue Art der Aufarbeitung biete. "Bis dahin war es gar nicht möglich, Opfer zu identifizieren, zu beweisen, an welchen Ursachen sie gestorben sind", sagt Sturm. "Das ist wegweisend für viele Konflikte auf der ganzen Welt." Mehr als 16.000 der beinahe 30.000 registrierten Vermissten wurden bisher aufgrund von Knochenfunden der Opfer und DNA-Proben der Angehörigen identifiziert; noch immer werden Massengräber gefunden.

In einer riesigen Halle des ICMP in Tuszla, der drittgrößten Stadt Bosniens im Nordosten des Landes, lagern 6.000 "Body Bags" mit menschlichen Überreste von Opfern der Massaker. "Wenn man einmal in Srebrenica war oder einmal in dieser Halle gestanden ist, ist das ein Blick in den Abgrund", so Sturm. "Die Erfahrung, das mit eigenen Augen zu sehen, verschiebt unglaublich viel bezüglich dessen, was man über Menschen denkt, wenn das so konkret wird, so nah." Der Film zeigt auch Menschen, welche die Geschehnisse im grausamsten Krieg auf europäischem Boden seit 1945 leugnen oder totschweigen. Sturm habe diese Erfahrungen nie direkt gemacht, aber erzählt bekommen. "Es berührt natürlich Unangenehmes: ein Verbrechen, über das man nicht sprechen will. Mit den Nazis war es bei uns genauso. Wer hat da schon gern über KZs geredet?"

Vom Kameramann Sahin Sisic bis zum Sicherheitschef Mirsad Catic stammen alle 40 Crewmitglieder aus Bosnien, haben den Krieg miterlebt. "In Bosnien könnten wir diesen Film nicht machen, weil es zu emotional wäre, zu sehr beeinflusst von verschiedenen Erfahrungen", erzählte der Westbosnier Catic der APA am Rande der Dreharbeiten in Sarajevo. "Durch die außenstehende Perspektive ist der Film einfach wahr - ohne den Komplex, den wir mit uns herumtragen." "Body Complete" in Bosnien als "Außenstehender" zu zeigen, war für Sturm dementsprechend aufregend. "Die Leute waren durchwegs sehr angetan und berührt", erzählt Sturm. Eine bosnische Journalistin habe sein Werk als "ehrlichsten Film seit Kriegsende" bezeichnet. Für Sturm ist das Anlass, sich der Thematik weiter zu widmen: Bald will er auch einen Dokumentarfilm über die Arbeit des ICMP drehen.