"Wir haben keinen Kontakt zu Schleppern und wir sind auch keine Fluchthelfer", erklärt Hans-Peter Buschheuer, Sprecher der deutschen Nichtregierungsorganisation Sea Eye, gegenüber der APA. Der Vorwurf, die Hilfsorganisationen würden die Flüchtlinge in libyschen Gewässern praktisch abholen und nach Italien bringen, sei absurd.

"Wir werden als Taxis dargestellt, die Flüchtlinge abholen, das ist Blödsinn." Die achtköpfige Crew der Sea Eye würde die in Seenot geratenen Flüchtlinge nur mit Rettungswesten ausstatten und mit Wasser und medizinisch versorgen. Der 26 Meter lange ehemalige Fischkutter der NGO sei auch zu klein, daher werden die Menschen gar nicht an Bord genommen, sondern nur versorgt, bis Hilfe durch ein größeres Schiff komme. "Unser Job ist Leben retten, nicht Menschen zu transportieren", so Buschheuer, dessen Verein nach eigenen Angaben seit April des vergangenen Jahres rund 6.000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet hat.

Die von Außenminister Kurz vergangene Woche erhobenen Vorwürfe gegen NGOs sind nicht neu. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex hatte bereits zuvor kritisiert, dass die Einsätze der Hilfsorganisationen dazu führten, dass Schlepper noch mehr Migranten auf seeuntüchtige Boote zwängten. Laut der EU-Grenzschutzagentur übernehmen Hilfsorganisationen immer mehr der Rettungseinsätze im Mittelmeer. 2016 seien NGOs bei mehr als 40 Prozent aller Rettungseinsätze beteiligt gewesen, gegenüber fünf Prozent im Jahr 2015, heißt es in einem Mitte Februar veröffentlichten Frontex-Bericht.

Außerdem würden sich die Einsätze immer mehr in Richtung libyscher Küste verschieben. Dadurch würden sich Schlepper Kosten ersparen und immer schlechtere Boote einsetzen. Auch Satellitentelefone, über die 2015 noch in der Mehrheit der Fälle Notrufe abgesetzt wurden, kämen immer seltener zum Einsatz, so Frontex.

Der Bericht hat in Italien zu einer politischen Debatte geführt. Vor allem Rechtsparteien fordern eine Überprüfung der überwiegend aus Deutschland stammenden NGOs, die zwischen Sizilien und Libyen im Einsatz sind. Die Staatsanwaltschaft von Catania hat vor einigen Wochen eine Erhebung begonnen, um die Finanzierung einiger Hilfsorganisationen zu durchleuchten. Formelle Ermittlung oder Beschuldigte gebe es aber keine, wie die Staatsanwaltschaft in Sizilien betont.

Bis zu 13 Boote von Nichtregierungsorganisationen sind laut italienischen Medienberichten im Mittelmeer Einsatz. Davon kommen allein sechs Schiffe von fünf NGOs aus Deutschland.

Die Hilfsorganisationen weisen den Vorwurf zurück, Flüchtlinge bereits in libyschen Gewässern - also weniger als zwölf Seemeilen von der libyschen Küste entfernt - aufzugreifen, zurück. "Natürlich sind wir nicht in libyschen Gewässern unterwegs, wir wollen ja die eigenen Leute nicht gefährden", sagt auch Sea Eye mit Blick auf das Bürgerkriegsland Libyen und das von kriminellen Gruppen kontrollierte Schleppergeschäft.

Der Verein, der im Herbst 2015 von Michael Buschheuer gegründet wurde, finanziert sich durch Privatspenden. Ab April wird der Verein ein zweites Schiff einsetzen. Im vergangenen Jahr sind laut Sea Eye 250.000 Euro eingesetzt worden - in erster Linie für Sprit und Medikamente, die Helfer würden auf eigene Kosten mitfahren, heißt es. Neben einigen Studenten und Pensionisten handelt es sich um ehrenamtliche Berufstätige, die ihren Urlaub für ihr Engagement auf See verwenden würden.

"Wir sind engagierte Laien, die überzeugt sind, dass die Zivilisation nicht an unseren Grenzen enden soll. Es bräuchte uns nicht, wenn Profis das machen würden", meint Buschheuer und kritisiert insbesondere die EU-Grenzschutzagentur Frontex, die nicht aktiv nach Menschen in Seenot suchen und "Tote offenbar billigend in Kauf nehmen" würde. Wenn sich die NGOs, wie von Kurz gefordert, zurückziehen würden, würde es sehr viel mehr Tote im Mittelmeer geben. "Und eine Abschreckung mit Toten, das kann nicht Zivilisation sein", so Buschheuer.

Die Hypothese, die Arbeit der NGOs bringe noch mehr Menschen dazu, die Flucht nach Europa zu wagen, wurde kürzlich auch von Wissenschaftern der Universität Oxford und der Scuola Normale Superiore in Pisa widerlegt. Sie errechneten in einer Studie laut "Standard", dass die Zahl der Ankünfte von Migranten in Europa genau in dem Zeitraum zwischen November 2014 und Mai 2015, als es am wenigsten Seenotrettungen gab, am höchsten war.

Im November 2014 war die breitangelegte italienische Operation Mare Nostrum eingestellt und durch die Frontex-Operation Triton ersetzt worden. Argument für die Einstellung war unter anderem Kritik, die ausgedehnte Seerettung sei ein Pull-Faktor. Die Frontex-Mission wurde im Mai 2015 nach einem tragischen Bootsunglück mit Hunderten Toten ausgeweitet, außerdem stachen ab diesem Zeitraum zahlreiche NGOs in See.