Gramatneusiedl also. Südlich von Wien, im Industrieviertel. Johanna Mikl-Leitner, umringt von fröhlichen Kindern, lacht von Plakaten. In Niederösterreich wird Ende Jänner gewählt. Der Bahnhof ist wesentlich für Gramatneusiedl. Davor: Hunderte Autos von Pendlern, die mit dem Zug nach Wien zur Arbeit fahren.

Diesmal sind es aber noch ein paar Wägen mehr: Morgens warten schon Dutzende Kameraleute auf Karin Kneissl, die im nicht weit entfernten Seibersdorf wohnt. Von Gramatneusiedl dauert es auch keine Dreiviertelstunde nach Bratislava. Die slowakische Hauptstadt ist das Ziel der ersten Auslandsreise der neuen Außenministerin.

„Weil er da ist.“ So antworten Alpinisten auf die Frage, warum sie einen Berg erklimmen. Daran erinnert Kneissls Antwort auf die von fast allen mitreisenden Journalisten gestellte Frage, warum sie just Bratislava zuerst anfahre. „Es ist die Nähe“, erklärt sie. „Die Geografie ist die Konstante der Geschichte“, zitiert sie einen Merksatz des ersten deutschen Reichskanzlers, Otto von Bismarck. „Bratislava war noch nie die erste Destination eines Außenministers aus Wien. Was ich nicht ganz verstehe. Das sind die beiden weltweit am nächsten gelegenen Hauptstädte“, sagt sie.

Die Regierung wolle ein „rot-weiß-roter Schnellzug“ sein, gab Vizekanzler Heinz-Christian Strache kürzlich das Tempo von Türkis-Blau vor. Kneissl aber nimmt den REX. Der Regionalzug nach Bratislava um 16 Euro hin und retour führt vorbei an Parndorf mit seinem monströsen Outletcenter und dem riesigen Windpark. Kneissl wirkt gelöst, lacht, scheint in ihrem Amt angekommen zu sein.

Es ist ein dichtes Besuchsprogramm, das die 52-Jährige bei ihrem ersten Nachbarschaftsbesuch erwartet. Ihr Amtskollege Miroslav Lajcák ist ja der derzeitige Präsident der UNO-Generalversammlung, der während dieser einjährigen Amtszeit seine Aufgaben als Außenminister an seinen Stellvertreter Ivan Korcok delegiert hat. Also erwartet der slowakische Staatssekretär die neue Ministerin und ihren Tross auf dem Bahnhof Bratislava-Petrzalka. Die bilateralen Beziehungen zwischen der Slowakei und Österreich seien ausgezeichnet, darin sind sich Kneissl und Korcok schon bei den ersten Worten einig.

Unsere Wirtschaft ist in der Slowakei sehr stark vertreten“, sagt ein Mitarbeiter der österreichischen Botschaft. 2000 heimische Mittelbetriebe sind in der Slowakei ansässig. Die niedrigeren Steuern hier sind kein unwichtiger Grund. Die Tatra-Bank an der ersten Adresse in Bratislava, der 425.000 Einwohner zählenden Stadt, gehört Raiffeisen. Gleich ums Eck strahlt das Austria Trend Hotel in frischem Putz, die Falkensteiner-Gruppe ist da und, und, und. „Andererseits gibt es in der slowakischen Gastronomie einen enormen Mangel an Kellnern und Kellnerinnen, Köchen und Köchinnen“, sagt der Botschaftsangestellte. „Die gehen alle nach Österreich, weil sie dort mehr verdienen.“ Die Arbeitslosigkeit in der Slowakei ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen, derzeit liegt sie bei sechs Prozent.

Die Verbindungen von Österreich und der Slowakei sind nicht nur historisch bedingt eng. Unser Gesundheits- und Pflegewesen ohne die Pflegerinnen und Pfleger aus der Slowakei? „Würde wahrscheinlich zusammenbrechen“, sagt auch die Außenministerin später auf der Pressekonferenz, nach dem einstündigen Arbeitsgespräch mit Ivan Korcok und seinem Team.

Am Thema Indexierung der Familienbeihilfe, von Bundeskanzler Sebastian Kurz mitgegeben, kommt Kneissl freilich nicht vorbei. Österreichs Ziel sei ein EU-weiter Index, sagt sie. Korcok kontert: „Wir erwarten von Österreich ein Prinzip der Nichtdiskriminierung“, denn die Slowakinnen und Slowaken würden auch in Österreich ihre Steuern zahlen. Immer wieder betont Kneissl, dass es bei diesem Besuch „atmosphärisch“ stimmt, und die Indexierung der Familienbeihilfe sei schließlich Aufgabe des Sozialministeriums.

Das wichtigste Thema dieses „Nachbarschaftsbesuchs“ war freilich ein anderes: „Migration ist nun einmal das Thema unserer Zeit. Die Situation ist, wie sie ist“, sagt Kneissl. In Sachen Flüchtlingspolitik lehnt die Slowakei wie nun auch Österreich eine verpflichtende Verteilung auf EU-Länder ab. Österreich hatte die Quoten 2015 gegen den Widerstand der Visegrád-Staaten, zu denen neben Ungarn, Tschechien und Polen auch die Slowakei gehört, mitbeschlossen und auf die Solidarität der mittel-osteuropäischen Staaten gedrängt. Doch mittlerweile erachtet die neue Bundesregierung diese verpflichtenden Verteilungsquoten als gescheitert.

Am Ende ihres ersten Auslandsbesuchs wirkte Kneissl zufrieden. In diesem Monat peilt sie noch Brüssel, Rom und Sofia an. Und eine der Prinzeninseln vor Istanbul, wo sie am 25. Jänner den türkischen Außenminister Mevlüt Çavusoglu trifft, denn „man kann auch in verfahrenen Situationen Türen öffnen“, sagt die Ministerin.