Aus den über das Kurhaus Semmering verteilten Lautsprechern dringt eine Stimme: brüchig aber eindringlich, entrückt aber doch präsent. Es sind die Worte von Friederike Mayröcker, unterlegt mit elektronischen Rhythmen des Quartetts "Mischwerk", das ihr Stück "OPER!" vertont hat und das am Donnerstagabend im Rahmen des Kultur.Sommers.Semmering seine Uraufführung feierte.

Die Leere des alten Hauses mit seinen langen Gängen und aus der Zeit gefallenen Sälen füllt sich mit Sprache und ihrer Erweiterung ins Sphärische, bevor das Publikum sich schließlich in einem Saal im ersten Stock einfindet, um die nächsten 90 Minuten in einen Kosmos der Auflehnung gegen das Alter, den Alltag und den Tod einzutauchen, den Regisseur Otto Brusatti mit dem Schauspieler Bernhard Majcen und der Tänzerin Maria Moncheva in Kooperation mit "Mischwerk" behutsam in Szene gesetzt hat. Die 92-jährige Mayröcker selbst sei mit der Idee, ein Stück für den Semmering zu schreiben, auf ihn zugekommen, hatte Brusatti bereits am Nachmittag bei einem Künstlergespräch erzählt, bei dem Mayröcker aus einigen alten Prosatexten las und dann doch bereit war, die eine oder andere Publikumsfrage zu Arbeitsweise und Musikgeschmack zu beantworten.

Alles Oper oder doch nicht

"Wir erzählen hier nicht eine Geschichte", so Brusatti, "sondern Entwicklungen, Aspekte, Ängste, Assoziationen, die man in ganz anders orientierte Musik setzen kann". "OPER!" habe mit Oper "alles und überhaupt nichts zu tun", so der langjährige Ö1-Moderator, Autor und Regisseur. Er habe versucht, den vorliegenden Text, der etwa acht Seiten umfasst und sich auch in Mayröckers im nächsten Frühjahr erscheinenden neuen Buch finden wird, "in Form und Rhythmus zu bringen und ihn dann vertanzen, verspielen und verschweigen zu lassen". Das ist ihm weitgehend auf hohem Niveau gelungen. Allein die auffallend starke Modulation in Mayröckers ungewohnt kraftvollem Vortrag, der rhythmisiert und nuanciert via Lautsprecher den ganzen Abend begleitet, ist ein Ereignis für sich. In der mit digitalem Minimalismus unterlegten elektronischen Version könnte die eine oder andere Passage mühelos auch via FM4 über den Äther schwirren, als verstörender Abgesang auf das Innenleben der Grande Dame der heimischen Lyrik.

Doch geht man im Kurhaus noch einen Schritt weiter. "Mischwerk", die Formation rund um Helmut Stippich, hat auf Grundlage des Textes Kompositionen geschaffen, die nicht nur im Text vorhandene poetische wie musikalische Motive aufgreifen, sondern den Text auch abstrahieren, zwischen Schubert-, Stolz- und Brahms-Zitaten oszillieren, John Cage klanglich in den Raum bringen und schließlich im "Tschinderassa Requiem" Mozart und Verdi in einem dramatischen Höhepunkt auf Klezmer treffen lässt. Dabei positionieren sich Maria und Helmut Stippich, Nikolai Tunkowitsch und Reinhard Uhl mit Kontrabass, Akkordeon, Geige und Klarinette mittig im Raum, beobachten und kommentieren das Geschehen auf der Bühne, die auf drei Seiten vom Publikum eingerahmt wird. Einem Stationendrama gleich reißt Bernhard Majcen einzelne Szenen an, doppelt Mayröckers vom Band kommenden Text und widmet sich mit großer Hingabe verdorrten Blumen, alten Medizinschränkchen und sogar einer Tigerente.

Traum und Erinnerung

Worum es hier geht? Wie schon in ihren in den vergangenen Jahren erschienenen Prosa-Bänden widmet sich Mayröcker in "OPER!" einem Mix aus Traum- und Erinnerungsfetzen, Zitaten von Dichter-Kollegen, Auslassungen über ihren Gesundheitszustand und dem täglichen Schreiben. Sie tut das mit der ihr innewohnenden poetischen Kraft, gepaart mit subtiler Selbstironie und ungebrochenem Glauben an eine Zukunft, reiche sie auch nur bis zum Ende des nächsten Satzes. "Vielleicht ist es obszön bis ins hohe Alter schreiben zu wollen, ich meine hatte ich diese Zeilen tatsächlich mit geschlossenen Augen gekritzelt, oder", heißt es an einer Stelle.

Es gehört schon was dazu, Sätze wie den folgenden auf der Bühne zu realisieren: "Bin verdorrt bin verdorben dennoch Wiszbegierde. Zärtlichkeit deines Anblicks. Ich weisz nicht unvorstellbares Ereignis Laubfrosch v. Burka, des abends, fragte er mich 'bist einsam?' antwortete ich 'wie du', Stoszgebet Wasser, auf deine Mühle ein, Zungenkusz." Brusatti schafft das über weite Strecken mithilfe von Andeutungen, Requisiten und dringend nötigen Pausen zwischen den Worten. Eine Tänzerin als Alter Ego der Autorin zu installieren, die stumm durch das Geschehen irrlichtert, zwischendurch bewegungslos mit einer Burka im Raum steht, um Sekunden später auf einem von der Decke baumelnden Ring atemberaubende Akrobatik vorzuführen, war keine schlechte Idee.

Doch hat er mit Maria Moncheva eine denkbar ungünstige Wahl getroffen. Die choreografischen Motive treffen sich selten mit jenen des Textes, Mayröckers melancholische, aber von scharfer Selbstironie durchzogene Mädchenhaftigkeit realisiert Moncheva unbedarft und ziellos. Das ist schade, zumal der Abend ansonsten als in sich stimmiges Gesamtkunstwerk überzeugt, in dem Musik und Text einander befeuern und sich in ungeahnte Höhen schrauben.

Mayröcker selbst zeigte sich beim frenetischen Schlussapplaus angetan und erleichtert.