Nach einer Leistungsexplosion in der Saison 2010 wurde der 29-jährige Niederösterreicher am Mittwoch, nur drei Tage nach seinem neuerlichen Titelgewinn in der Wiener Stadthalle, erstmals als Österreichs "Sportler des Jahres" geehrt. Dies ist ein weiterer Höhepunkt nach French-Open-Halbfinale, Achtelfinali in Wimbledon und bei den US Open, dem Doppel-Wimbledon-Triumph und Siegen u.a. über Rafael Nadal.<7p>

Innerhalb eines Jahres entwickelte sich Melzer vom konstanten Spieler der erweiterten Weltklasse um die Top 30 zum Top-10-Anwärter. Dabei hatte er lange Zeit als ein Riesentalent gegolten, dem der letzte Kick fehlt. Und viele Jahre lang war auch die Last eines Thomas Muster zu schwer für Melzer, der erst 2006 mit 25 seinen ersten ATP-Turniersieg holte. Immer wieder wurde er an dem einstigen Übersportler gemessen. Doch in diesem Jahr ist Melzer aus dem langen Schatten herausgetreten und wurde als zweiter Tennisspieler nach Muster (1990 und 1995) zu Österreichs Sportler des Jahres gewählt. Tennis ist dank ihm auch in Österreich wieder "in".

Konstanz und Sicherheit

Es war schon eine Portion Mut zum Risiko dabei, als er vor drei Jahren begonnen hat, sein Umfeld sukzessive umzubauen. Nach zwölf Jahren trennte sich Melzer 2007 von seinem Langzeit-Trainer Karl-Heinz Wetter und nahm mit Neo-Coach Joakim Nyström eine wichtige Weichenstellung vor. Der Schwede lernte dem Wahl-Wiener noch mehr Konstanz und Sicherheit von der Grundlinie. Später wurde Jan Velthuis, den Melzer als eine Art "Ersatz-Papa" bezeichnet, als Physiotherapeut und Konditionstrainer Teil des Teams.

Mit Manager und Mental-Coach Ronnie Leitgeb holte Melzer im Juli 2009 einen weiteren wichtigen Betreuer, denn der frühere Muster-Coach impfte Melzer immer wieder den Glauben an sich selbst ein. Und ab einem gewissen Niveau werden viele Matches eben im Kopf entschieden. Schon die Zielvorgabe damals, "Vorstoß in die Top 20 und Erreichen eines Grand-Slam-Viertelfinales", zeugte von neuem Selbstbewusstsein. Knapp zehn Monate später waren nach Paris beide Ziele erreicht.

Privat hat der aktuelle Weltranglisten-Zwölfte seit rund eineinhalb Jahren die "Liebe seines Lebens" gefunden: Mit Mirna Jukic hat er eine ehemalige Spitzensportlerin an seiner Seite, die exakt weiß, wann Melzer Nähe oder Abstand braucht. "Sie weiß auch, was man mir wann und wie zumuten kann und wann man was macht. Das ist schon ein extrem wichtiger Baustein bei mir", sagte Melzer.

Entscheidung treffen: Fußball oder Tennis?

"Jürgen ist sehr sensibel und er hasst Ungerechtigkeiten", beschrieb Vater Rudolf Melzer, ehemaliger Bürgermeister von Deutsch Wagram, einmal seinen älteren Sohn. "Er ist leicht lenkbar, brav und ehrlich." Und er erinnerte sich auch an die doch sehr teure Ausbildung zum Tennis-Profi: "Wir haben uns damals alles vom Mund abgespart, um den Jürgen zu unterstützen." Bei einem Urlaub schlug der damals neunjährige Jürgen seine ersten Tennis-Bälle und entdeckte eine Sportart, die ihn fortan nicht mehr loslassen sollte. Schon bei seinen ersten Staatsmeisterschaften (U 10) wurde er Dritter. Bald musste der begeisterte Fußballer eine Entscheidung treffen: Fußball oder Tennis. Der sportmotorisch talentierte Jürgen wählte den kleineren Ball und den Einzelsport. Dem Fußball ist er als eingefleischter Bayern-München- und Austria Wien-Fan treugeblieben.

Melzer wechselte vom Gymnasium Gänserndorf ab der 5. Klasse in die Südstadt. Nach dem Ende der Südstadt-Jugendförderung wurde Melzer 1999 Profi, machte die Matura und konnte auch sportlich seine Reife beweisen, vorerst noch bei den Junioren: Einem Doppelsieg bei den Australian Open mit dem Dänen Kristian Pless folgte der Einzel-Titel in Wimbledon. Erste Schlagzeilen waren die Folge. Im gleichen Jahr feierte Melzer sein ATP-Tour-Debüt in der Wiener Stadthalle mit einem Erstrundensieg. 2000 dann die erstmalige Qualifikation für einen Grand-Slam-Hauptbewerb, das Jahr 2002 beendete Melzer zum ersten Mal in den Top 100. 2003 erreichte Melzer erstmals ein Finale auf der ATP-Tour, was ihm bisher insgesamt zehn Mal im Einzel gelang. 2006 durfte Melzer in Bukarest endlich den ersten von bisher drei ATP-Titeln feiern.

Mit dem BA-Trophy-Sieg 2009 machte es bei Melzer endgültig "klick", innerhalb eines Jahres bekam er die so wichtigen Matches gegen Top-5-Spieler und endlich, nach über zehn Jahren Profitennis auch das erste Duell mit Roger Federer, der heuer in Wimbledon und bei den US Open jeweils im Achtelfinale noch zu stark war. Doch spätestens seit dem Sieg über die Nummer 1 der Welt, Rafael Nadal, in Shanghai weiß Melzer, dass er jeden Spieler schlagen kann. Der Sprung in die Top Ten ist jedenfalls nur noch eine Frage der Zeit.