ARMIN THURNHER: Die Frage ist natürlich akademisch. Was ist schon zeitgemäß? Was ist schon „noch“ zeitgemäß? In diesem „noch“ klingt die negative Antwort bereits mit. Natürlich ist Formel 1 in Zeiten des Klimawandels nicht zeitgemäß. Zweitens höre ich in der Frage aber jenes Quäntchen Nostalgie, das uns flüstert, dass man die Formel 1 gerade jetzt justament mögen muss, etwa wie sexistische Witze, gepflegte Ausländerfeindlichkeit und überhaupt Dinge, die man „wohl noch“ sagen darf. Dass die Formel 1 nicht mehr Bernie Ecclestone gehört, dass sie die Zahl der Todesopfer stark reduziert und sogar die leicht bekleideten Boxenluder abgeschafft hat, ist eine Art von Formel-1-Aggiornamento, die man so gesehen nicht billigen kann. Was meinen Sie, Fleischhacker?

MICHAEL FLEISCHHACKER: Wie Sie sich denken können, lieber Thurnher, finde ich die Formel 1 überhaupt nicht zeitgemäß, deshalb mag ich sie ja. Ob sie je zeitgemäß gewesen ist, wäre eine andere Frage, vielleicht ja, denn sie hat mich lange nicht interessiert. Viele, Sie wohl auch, halten eine solche Haltung für reine Pose, radical chic oder so was, und das ist auch würdig und recht. Aber ich denke, dass wir hier von einer Form der Unzeitgemäßheit reden, die umso wichtiger wird, je mehr die Verhausschweinung des Menschen alle Lebensbereiche durchdringt und alles, wofür der Rennsport steht, für hochtoxisch hält: Technikbegeisterung, Risiko, Kompromisslosigkeit und Gewinnenwollen. Die Formel 1 ist der Stachel im Wabbelfleisch unserer Luschenwelt.

Michael Fleischhacker, nach Stationen bei der Kleinen Zeitung und beim „Standard“ 2004 bis 2012 Chefredakteur der „Presse“, heute freies Radikal
Michael Fleischhacker, nach Stationen bei der Kleinen Zeitung und beim „Standard“ 2004 bis 2012 Chefredakteur der „Presse“, heute freies Radikal © APA/HANS PUNZ

THURNHER: Wenn es wenigstens so wäre. Aber dagegen sprechen selbst die Freunde von Red Bull, die Ihnen gewiss nicht ganz fernstehen. Buchhalter-Konkurrenz oder so nennt Helmut Marko die Formel 1 heute, und in so einen Boliden könnten auch Hausschweine wie Sie und ich einsteigen und nicht aus der Kurve fliegen! Also die Formel 1 ist eine Luschen-Formel, verglichen mit Zeiten, als Jochen Rindt sein Leben verspielte, Niki Lauda seines riskierte und Helmut Marko ein Auge verlor. Ich würde sagen, die Formel 1 ist heute eine öffentliche Einübung in digitale Selbstdisziplinierung und als solche äußerst zeitgemäß!

Armin Thurnher, Gründer und  Herausgeber der Wiener Stadtzeitung „Falter“, Autor von Essays, Romanen und Kochbüchern, Musik-, Diskurs- und überhaupt Liebhaber
Armin Thurnher, Gründer und Herausgeber der Wiener Stadtzeitung „Falter“, Autor von Essays, Romanen und Kochbüchern, Musik-, Diskurs- und überhaupt Liebhaber © ORF


FLEISCHHACKER: Ich halte es für ein gutes Zeichen, dass wir uns schon in den ersten Wortmeldungen in Widersprüche verstricken, Thurnher, Sie wie ich. Ja, das ist auch wieder wahr, derzeit hat die Formel 1 etwas Zeitgemäßes, weil sie für die digitale Luschenwelt zugerichtet wurde. Es ist vielleicht ein bisschen bezeichnend, dass in der uns aufgetragenen Fragestellung der Klimawandel als Gradmesser ihrer Zeitgemäßheit eingeführt wird, man muss ja heutzutage sogar die Wahl seiner Sockenfarbe einem Klimaneutralitätstest unterziehen, eine verrücktere Sekte als die Thunberger habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Ihre „Falter“-Leute, hab ich gelesen, sind ja auch Mitglieder, ergriffen wurde davon berichtet, dass man den Rocksaum der Gesalbten berühren durfte. Da möchte man doch gerne einmal einen Grand Prix in Davos statt in Monaco veranstalten.



THURNHER: Na, lieber Fleischhacker, darauf habe ich schon gewartet. Ich versuche, klimamäßig Rationalist zu bleiben und halte mich da an das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung. Dort ist die Formel 1 – glaube ich – nicht unter den führenden Faktoren der Klimakrise eingepreist. Dass Greta Thunberg eine öffentlichkeitswirksame Person ist, die aufgrund erkannter politischer Stillhaltesyndrome agiert, ist etwas anderes. Aber Sie haben recht, sie zu zitieren, denn es geht um Symbole: Die Formel 1 ist auch eines, wie fast alles. Dort sieht man übrigens wöchentlich Szenen von Leuten, die ekstatisch den Saum eines durchgeschwitzten Champion-Overalls zu berühren versuchen.

FLEISCHHACKER: Die Rennfahrer haben ja im Unterschied zur Frau Klimawandelpanikattackenbeschwörerin auch was geleistet, denn anders, als Sie zu glauben scheinen, ist auch die Luschen-Formel-1 unserer Tage noch ein bisschen gefährlicher als das Autodromfahren beim Bregenzerwälder Kirtag. Aber ja, es geht um Symbole. Das Symbol Thunberg steht für die Verlogenheit der Bobo-Lifestyle-Heuchler, das Symbol Formel 1 für die, denen der Korrektheitszirkus mit seinen Buchstabendressuren auf die Nerven geht. In dem Sinn, dass wir uns nur für den gelinderen Irrtum entscheiden, weil uns die endgültige Wahrheit nicht zur Verfügung steht, möchte ich mich gern von Herzen für den Rennsport entscheiden.



THURNHER: Ich lasse die gute Greta beiseite, um noch einen Aufklärungsversuch zu starten. Die Formel 1 gilt ja als Sport, und wie bei allen Sportarten nimmt uns die Kommerzialisierung das Wilde, Unberechenbare. Nämlich die Möglichkeit, dass auch einmal ein Schwächerer einen Stärkeren besiegt. Die Formel 1 ist das Symbol dafür, wie alles ausgerechnet wird. Nicht nur auf der Rennstrecke, auch in der Gesellschaft. Geld kauft Politik, so klar wird einem das selten demonstriert wie hier. Dazu brauche ich gar nicht den aktuellen Grafen Didi von Spielberg zu bemühen, ich erinnere daran, wie eine halbe Bundesregierung, angeführt von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, einst untertänigst bei Bernie Ecclestone in Spielberg antichambrierte. Tja, die Formel 1 ist leider kein Anti-Luschen-Festival, sondern nichts anderes als Servilitätsdressur auf vielen Ebenen.

FLEISCHHACKER: Ich weiß, der Kapitalismus, ganz böse. Kaufen alles, diese Kapitalisten, Geist, Macht, auch den Tod, wenn sie können. Schrecklich. Vielleicht ist sogar wahr, was Sie sagen, Thurnher, aber in Zeiten, in denen sogenannte Wissenschaftler Studien über die traumatisierende und gesellschaftszersetzende Wirkung des Völkerballspiels veröffentlichen, scheint mir auch noch die verhausschweinernste Form des Rennsports einen Normalitätsrest zu bergen, für den es sich zu kämpfen lohnt.

THURNHER: Es lebe der Völkerball! Nein, die Formel 1 müsste sich schon bis zur Unkenntlichkeit ändern, um interessant zu bleiben. Man versucht, uns dort mit gar nicht unwitzigen Kommentaren auf allen Kanälen zum Beispiel daran zu gewöhnen, dass Transparenz eben immer nur ein Schwindel ist: Der Boxenfunk kann nur teilweise und zeitversetzt freigegeben werden. Der teaminterne Wettbewerb unterliegt der Fernsteuerung durch die Box. Die Gerichtsbarkeit ist undurchsichtig und willkürlich. Die Werbung dominiert alles. Und Sieger wird der mit der meisten Kohle. Und all das sollen wir für normal halten? Ich kann mir nicht helfen, ich sehe den Normalitätsrest nicht!

FLEISCHHACKER: Ich weiß nicht genau, in welcher Welt Sie leben, Thurnher, aber in meiner sorgt die Tatsache, dass auch der Sport inzwischen eine ökonomische Veranstaltung geworden und kein griechisches Tempelhochamt mehr ist, kaum noch für spitze Entsetzensschreie. Sie hatten ja schon zu Recht darauf hingewiesen, dass es auf diesem Feld der Ehre um Symbole geht. Wenn ich also die Wahl habe zwischen Greta Thunberg und Niki Lauda, werde ich mich immer und ewig für Niki Lauda entscheiden.