Welches Verkehrsschild symbolisiert aus Ihrer Sicht derzeit die steirische Kulturpolitik zwischen Kritik am Kulturkuratorium und Protest vieler Kulturschaffender?
FRANZ LAMMER: Derzeit werden alle Wege auf Schnellstraßen und Autobahnen umgeleitet. Es fehlen die kleinen Seitenstraßen, die unasphaltierten Gassen. Auf denen gehört gefahren. Ich behaupte: die kulturelle Landschaft entsteht in Seitengassen.


Autobahnen verbinden in erster Linie Großstädte miteinander. Als Mitrganisator von Veranstaltungen wie Rostfest oder dem Stadtteilfest Lendwirbel in Graz kennen Sie das kulturelle Klima der Stadt genauso wie in der Region. Was braucht die Kulturszene auf dem Land besonders dringend?
LAMMER: Unter ländlicher Kultur stellt man sich Lederhosen, Steirische Harmonika und Tradition vor. Das stimmt so nicht. Ich würde die Trennung zwischen ländlicher und urbaner Kultur gerne ersetzen durch traditionelle, alt eingesessene Kulturformen und einer Subkultur mit einem mutigen Zugang zur Kunst. Unsere Erfahrungen der letzten Jahre beim Rostfest zeigen: Da geht noch viel mehr auf dem Land.

Konzerte mitten in der Stadt: beim Rostfest in Eisenerz
Konzerte mitten in der Stadt: beim Rostfest in Eisenerz © Rostfest/Sascha Pseiner


Und was braucht die Jugend auf dem Land?
LAMMER: Sie braucht die Konfrontation mit anderen künstlerischen Formen, nicht nur die Zeltfestdisco – sonst bleibt der Horizont ländlich. Die Veranstalter aus der Stadt dürfen aber nicht bloß Zeitgenössisches aufs Land verfrachten und all das schräg finden. Man muss mit der Bevölkerung dort in Kontakt treten. Damit das passieren kann, verlangen wir zum Beispiel bewusst keinen Eintritt.


Was fehlt denn der Subkultur?
LAMMER: Es mangelt ganz konkret an Räumen für Subkultur, Jugendkultur und Experimente. Wo Menschen einen Raum bekommen, kann ein Ort zum Spielplatz werden, an dem probiert und experimentiert wird. Aus dieser Subkultur – damit meine ich zum Beispiel Streetart, Videokunst oder elektronische Musik – entsteht im besten Fall Hochkultur oder Kreativwirtschaft. Gerade in Graz fehlt es an solchen Räumen. Und an Personen, die zwischen Stadt und Immobilien vermitteln: eine Leerstandsagentur.


Niesenberger, Papierfabrik, Kombüse: Es gab schon einmal mehr von diesen Räumen.
LAMMER: Ein Anliegen von uns, das wir immer wieder im Gespräch mit der Stadt wiederholen: Es bräuchte mehr Zwischennutzung von leer stehenden Räumen. Ein gutes Beispiele dafür ist das Lendhaus.

Für das Programm des Lendwirbels oder des Rostfestes sind Ihre Förderungen schmächtig. Ihre Veranstaltungen sind eigentlich auch ein super Argument für die Kürzungen im Kulturbereich.
LAMMER: Für eine junge, engagierte Gruppe, die etwas auf die Beine stellen möchte, wird es wirklich immer schwieriger. Es ist nicht nur die fehlende Fördersumme, die die Arbeit erschwert, sondern ganz oft auch der Platz. Gleichzeitig werden gesetzliche Rahmenbedingungen strenger. Und von den Behörden bekommt man auch nicht immer die nötige Unterstützung.


Welche Konsequenzen fürchten Sie für die Alternativszene?
LAMMER: Dass das Milieu verloren geht. Wichtigste Botschaft: Wenn man das kreative Milieu nicht gedeihen lässt in den Leerständen oder den Räumen in der Stadt, dieser Szene keinen Platz lasst, kann sich daraus nichts entwickeln. Die Jungen brauchen Spielräume: Daraus entsteht einerseits ein kreativwirtschaftlicher Zweig, andererseits eine erfrischende und befruchtende Stimmung in der Stadt.


Wann haben Sie in der Stadt zuletzt diese Stimmung gespürt?
LAMMER: Großflächig gespürt hat man das während im Kulturhauptstadtjahr 2003. Natürlich gab es dort viel Geld und vieles war kuratiert, aber damals haben sich viele aus der Szene vernetzt, experimentiert. Heute sind nicht wenige aus dieser Zeit etabliert. Ein Paradebeispiel für mich ist das Film- und Videokunst-Kollektiv OchoReSotto. Sie sind aus der Subkultur gekommen, jetzt arbeiten sie für die Grazer Oper oder den Wiener Opernball.

Bewohner feiern ihr Viertel und ihre Stadt: Lendwirbel
Bewohner feiern ihr Viertel und ihre Stadt: Lendwirbel © Lendwirbel/Lammer


Sie haben einmal gesagt: Mit dem Lendwirbel haben Sie ehrenamtlich Stadtentwicklungsarbeit gearbeitet. Jetzt öffnet das Kunsthaus während des Wirbels das Erdgeschoss für Sie. Zufrieden?
LAMMER: Das ist eine gute Aktion genauso wie jene, dass die Spielstätten mit Unterstützung des Landes Gratistage für die freie Szene anbieten. Das ist ein erster Schritt. Aber: Da geht noch viel mehr! Auch der große Saal im Orpheum wäre einmal interessant. Oder die Annenpassage. Was uns schon überrascht: Dass unser Know-how bei Stadtentwicklungsprozessen wie Reininghaus gar nicht gefragt war.


Was ist Ihr größter Wunsch an die Kulturpolitiker?
LAMMER: Dass sie endlich beginnen, ressortübergreifend zu denken. Jeder Veranstalter macht nicht nur eine Einreichung, sondern viele: Stadt, Land, Bund, EU – oft mehrere Ressorts. Das ist ein bürokratischer Hürdenlauf. Dass viele engagierte Menschen so die Lust verlieren, verwundert nicht. Mein zweiter großer Wunsch: Dass man Stadtentwicklung und forcierte Begriffe wie „Smart City“ nicht nur technologisch begreift, sondern auf das kreative Milieu und die Vielfalt des Angebots achtet und die Spielplätze für die Szene nicht vergisst. Das ist der Nährboden für alles.


Hat das Tagger-Aeral das Potenzial, ein Spielplatz zu werden?
LAMMER: Durchaus. Ich weiß aber nicht, ob es da noch freie Räume gibt. Es wäre gut, wenn dann nicht alle in ein Areal gepfercht werden, sondern wenn es dazwischen noch mehr Plätze gäbe.