Polen wird sich nach Einschätzung des Deutschen Polen-Instituts auch vom Sanktionsverfahren der EU nicht von seiner Justizreform abbringen lassen. "Es ist sogar vorstellbar, dass es die polnische Regierung darauf ankommen lässt. Das könnte auch so eine Art Showdown sein", sagte der Institutsdirektor Dieter Bingen am Mittwoch dem Radioprogramm SWR Aktuell.

Die EU-Kommission tue, was sie tun müsse. Das EU-Sanktionsverfahren sei ein Signal nicht nur an die polnische Regierung, sondern "vor allem auch an die demokratische Opposition in Polen", dass Brüssel solidarisch sei, sagte Bingen.

Der Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament und stellvertretende Parteivorsitzende der CSU, Manfred Weber, sagte der BR-Rundschau, die EU-Kommission habe "eine klare Kante" gezeigt, dass Rechtsstaatlichkeit ein Grundprinzip der EU sei und auch in Polen verteidigt werden müsse.

Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission, warf der polnischen Regierung vor, die Regeln des Rechtsstaats zu verletzen. Es sei wichtig, gegen Polen vorzugehen, damit in anderen Mitgliedsstaaten nicht Ähnliches passiere, sagte Timmermans dem ZDF-"heute journal".

Erstmals in der Geschichte hatte die Europäische Union am Mittwoch ein Verfahren gegen ein EU-Mitgliedsland wegen schwerer Grundrechtsverstöße eingeleitet. Wegen der Justizreformen in Warschau eröffnete die EU-Kommission in Brüssel ein Grundrechtsverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags. Dieses kann bis zu einem Stimmrechtsentzug für Polen führen.

Urs Pötzsch vom Centrum für Europäische Politik erklärte, die Einleitung des Verfahrens gegen Polen bedeute noch nicht, dass der Europäische Rat wirklich harte Sanktionen beschließe. Sie bedeute "zunächst einmal nur, dass sich jetzt neben der Kommission auch der Rat und das Europäische Parlament ernsthaft mit den Entwicklungen in Polen befassen" müssten. Das Verfahren biete "immer noch Spielraum für politische Lösungen".

Durch die Justizreform würden Richter zwangsweise in Pension versetzt, erklärte Timmermans. Alle neuen Richter würden vom Staatspräsidenten ernannt. Der neue nationale Richterrat werde von Vertretern der herrschenden Partei dominiert. Das Gremium würde auch direkt über die Gültigkeit von Wahlergebnissen entscheiden.

Drei Monate

Polen erhält noch drei Monate Zeit für einen Dialog, dann müssen die EU-Staaten über die Fortsetzung des Verfahrens und über Sanktionen entscheiden. Dafür wären vier Fünftel der EU-Staaten erforderlich. Die ungarische Regierung will Warschau unterstützen. Für die rechtsnationale Regierungspartei PiS ist dieser Schritt „politisch motiviert“. Trotz der Eröffnung des EU-Verfahrens unterzeichnete Polens Präsident Duda noch am selben Tag zwei umstrittene Justizreformen, die das Oberste Gericht und den Nationalen Justizrat (NCJ) betreffen.

Die Journalistenvereinigung "Reporter ohne Grenzen" warf der EU-Kommission vor, die polnische Medienpolitik zu ignorieren. "Die ständigen Angriffe der polnischen Regierung auf die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Medien dürfen nicht folgenlos bleiben", forderte der ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Die polnische Regierung habe den öffentlichen Rundfunk unter ihre Kontrolle gebracht, Journalisten entlassen und private regierungskritische Medien unter Druck gesetzt.