Was der DuMont Verlag als "neue Zwischenrufe des wichtigsten französischen Autors der Gegenwart" angekündigt hat, ist in Wahrheit eine Sammlung von bereits publizierten Essays und Gesprächen von Michel Houllebecq. Der älteste Text stammt aus 2003. Doch immerhin reichen die Beiträge fast bis ins Heute und die Themen bis zu Trump und Corona.

"Das Paradox ist nur allzu offensichtlich: Der Konservativismus kann ebenso eine Quelle des Fortschritts sein, wie die Faulheit die Mutter der Effizienz ist." Mit diesem Beginn eines vor 17 Jahren für "Le Figaro" geschriebenen Essays steckt Houellebecq gleich einmal seinen Claim ab, aus dem er sich in allen elf ausgewählten Beiträgen nicht fortbewegen wird: Ein sehr belesener Intellektueller mit dem Hang zur Provokation versteht es, quasi über Gott und die Welt zu philosophieren, ohne sich einen Deut um Konventionen zu scheren.

Es ist eine erstaunlich katholische, erstaunlich konservative Grundhaltung, die Houellebecq dabei offenbart - wobei man sich manchmal nicht sicher sein kann, ob er das alles ernst meint. Die Freude an der selbst gewählten Outcast-Haltung ist nur allzu offensichtlich - nicht nur im intimen Zwiegespräch mit dem Autor Frederic Beigbeder, der ihn daran erinnert, einmal sein Gebiss bei ihm vergessen und daraufhin seine Auftritte bei der anschließenden Berlinale zahnlos bestritten zu haben. "Ziemlich egal" sei ihm das gewesen, erwidert der Autor lachend.

Seine literarischen Vorbilder (etwa Joris-Karl Huysmans, Gilbert Keith Chesterton und Auguste Comte), seine politischen (Houellebecq ist Fan der direkten Demokratie) und musikalischen Vorlieben (Paul McCartney und Schubert) sind dabei ebenso Thema wie seine Beschäftigung mit katholischen Denkern. Religiöses nimmt bei dem Autor, der in seinem Roman "Unterwerfung" (2015) die Vision eines muslimisch regierten Frankreich heraufbeschworen hat, naturgemäß breiten Raum ein.

"Ich werde nie glauben, ich werde immer zweifeln", meint Houellebecq, verteidigt "das Recht, eine Religion anzugreifen", sagt über Paulus, dieser habe "vielleicht den stärksten literarischen Einfluss" auf ihn gehabt, und beklagt den schwindenden Einfluss der katholischen Kirche, die wieder Gottesfurcht lehren solle anstatt "cool sein" zu wollen. An was glaubt der Autor? "Ich glaube an die Möglichkeit eines begrenzten Himmelreichs. Ich glaube an die Liebe."

Es geht anhand eines aktuellen Falls um Sterbehilfe (Houellebecq ist dagegen), um Tourismus ("Die Franzosen in ihrer Gesamtheit haben sich bereit erklärt, zur großen Freude des internationalen Tourismus ihre Rolle als Franzosen zu spielen."), um US-Präsident Donald Trump (Houellebecq hielt ihn - jedenfalls im Jänner 2019 - für "einen der besten Präsidenten, die Amerika je hatte"), um die Europäische Union ("eine verhängnisvolle oder bestenfalls dumme Idee, die sich nach und nach in einen bösen Traum verwandelt hat, aus dem wir schließlich erwachen werden") und schließlich auch um Corona: Dieses sei "ein Virus ohne Eigenschaften", "zugleich beängstigend und langweilig", und habe nur "bereits angestoßene Veränderungen beschleunigt", etwa die Reduktion von physischen Kontakten: "Wir werden nach der Ausgangssperre nicht in einer neuen Welt erwachen; es wird dieselbe sein, nur ein bisschen schlechter."

Michel Houellebecq. Ein bisschen schlechter. Neue Interventionen. DuMont Verlag, 200 Seiten, 23,70 Euro.