Erstmals nach vier Wochen hat Israel wieder palästinensischen Gläubigen jeden Alters den Zutritt zum Freitagsgebet auf dem Jerusalemer Tempelberg gestattet. Die israelische Polizei gab die Lockerung der Zugangsbeschränkung am Morgen bekannt, womit ein Signal der Entspannung gegeben werden sollte.

Unterdessen hielt der internationale Druck auf beide Seiten an, Schritte zur Verhinderung eines allgemeinen Palästinenser-Aufstands zu ergreifen. Die Aufhebung des zuletzt geltenden Verbots für palästinensische Männer unter 40 Jahren, die Hochfläche mit der Al-Aksa-Moschee zu betreten, gehörte offenbar zu den "konstruktiven Vorschlägen", die US-Außenminister John Kerry und Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu am Donnerstag in Berlin nach Angaben eines Kerry-Sprechers erörterten. Der Streit um den für Muslime und Juden heiligen Tempelberg im israelische besetzten Ostteil Jerusalems ist eine wichtige Ursache der aktuellen Unruhen.

Furcht der Palästinenser

Die Palästinenser befürchten, dass die rechts-religiöse Regierungskoalition unter Netanyahu schrittweise die religiösen Nutzungsrechte auf dem Gelände vor der Al-Aksa-Moschee ändern will, was der Ministerpräsident aber bestreitet. Nach der derzeitigen Regelung dürfen Juden - wie andere nichtmuslimische Besucher - den Tempelberg zwar zu bestimmten Zeiten besichtigen, aber dort nicht beten.

Im besetzten Westjordanland verübte am Freitagmorgen erneut ein Palästinenser eine Messerattacke. Er verletzte dabei einen israelischen Soldaten südlich von Bethlehem an einer Absperrung nahe einer jüdischen Siedlung leicht. Dessen Kameraden schossen auf den 17-jährigen Angreifer und verletzten ihn nach Angaben von Ärzten schwer.

Tag des Zorns

Weil an verschiedenen Orten im Westjordanland und im Gazastreifen zu einem erneuten "Tag des Zorns" nach den Freitagsgebeten aufgerufen wurde, rechnete die israelische Armee für den Nachmittag mit Zusammenstößen.

Seit Anfang Oktober wurden bei der Gewaltwelle acht jüdische Israelis getötet und rund 25 Angreifer erschossen. Etwa die gleiche Zahl von Palästinensern wurde im gleichen Zeitraum bei gewaltsamen Protesten getötet. Außerdem wurden ein jüdischer Israeli und ein Eritreer getötet, die fälschlicherweise für Attentäter gehalten wurden.

Zur Beruhigung der Lage könnte zumindest kurzfristig beitragen, dass der Oberste Gerichtshof den eigentlich für Donnerstag anberaumten Strafabriss der Wohnungen von sechs Attentätern aus dem Westjordanland in letzter Minute blockierte. Am 29. Oktober soll über diese Fälle eine Anhörung stattfinden.

Kerry bemüht sich um Entspannung

Kerry bemüht sich in diesen Tagen darum, als erstes den Streit um den Tempelberg zu entschärfen, indem die geltenden Regeln bekräftigt und einvernehmlich durchgesetzt werden. Nach seinem Treffen mit Netanyahu will er darüber am Samstag in Amman mit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas und dem jordanischen König Abdullah II sprechen.

Der UN-Sicherheitsrat diskutiert zugleich über einen von Neuseeland eingebrachten Resolutionsentwurf zur Wiederbelebung von Friedensgesprächen zwischen Israelis und Palästinensern. In Wien war am Freitag eine weitere Spitzenrunde des Nahostquartetts (bestehend aus Russland, USA, EU und UNO) anberaumt.

Internationale Diplomatie

Die internationale Diplomatie dringt gegenwärtig ganz besonders darauf, dass die Führungen beider Konfliktparteien die aufgeheizte Stimmung nicht durch gegenseitige Verleumdung weiter anstacheln. So wurde auch in Washington Netanyahus umstrittene Holocaust-Äußerung scharf kritisiert. Die "aufrührerische Rhetorik" müsse ein Ende haben, sagte der stellvertretende Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Eric Schultz. "Ich denke, es gibt hier im Weißen Haus keinen Zweifel daran, wer für den Holocaust verantwortlich ist, der sechs Millionen Juden getötet hat."

Netanyahu hatte am Dienstag gesagt, dass der seinerzeitige Großmufti von Jerusalem, Hadsch Amin al-Husseini, Adolf Hitler zum Holocaust angestiftet habe. Hitler habe die Juden "damals nicht auslöschen wollen", sondern nur ausweisen wollen.