Die Türkei hat wegen der Bewertung der Gräueltaten an den Armeniern als "Völkermord" durch den Papst ihren Botschafter beim Vatikan nach Ankara zurückbeordert. Das meldete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu am Sonntag.

Der Papst hatte zuvor im Zusammenhang mit dem Tod von möglicherweise bis zu 1,5 Millionen Armeniern vor 100 Jahren in einer Messe seinen Vorgänger Johannes Paul II. zitiert, der 2001 vom "ersten Völkermord im 20. Jahrhundert" gesprochen hatte. In einer ersten Reaktion hatte die Türkei, die es als Rechtsnachfolgerin des osmanischen Imperiums ablehnt, von Genozid zu sprechen, schon den Vatikan-Botschafter ins Außenministerium in Ankara vorgeladen.

In einer Messe zum Gedenken an den Massenmord durch die osmanische Regierung vor 100 Jahren sagte der Papst am Sonntag im Petersdom, im vergangenen Jahrhundert habe es "drei gewaltige und beispiellose Tragödien" gegeben, die erste, die "weithin als 'erster Völkermord des 20. Jahrhunderts' gilt", habe das armenische Volk getroffen.

Türken sind empört

Er zitierte damit eine Erklärung von Papst Johannes Paul II. und dem armenischen Patriarchen aus dem Jahr 2000. Das türkische Außenministerium kritisierte die Worte des Papstes und bezeichnete sie als "inakzeptabel". Am 24. April 1915 begann die damalige Regierung des Osmanischen Reiches mit der Verhaftung der Armenier. In der Folgezeit fielen nach armenischen Angaben bis zu 1,5 Millionen Angehörige der Minderheit einem Völkermord zum Opfer.

Die Türkei als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches weist diesen Begriff zurück und setzt die Zahl der Opfer deutlich niedriger an. An der Messe im Petersdom nahmen auch der armenische Patriarch Nerses Bedros XIX. (Tarmouni) und der armenische Präsident Serzh Sarksyan teil. Ob der Papst den Begriff Völkermord benutzen würde, war mit besonderer Spannung erwartet worden. Der Papst sagte, für die beiden anderen Völkermorde des 20. Jahrhunderts seien der "Nazismus und Stalinismus" verantwortlich. In jüngerer Vergangenheit habe es aber noch weitere Massenmorde gegeben, etwa in Kambodscha, Ruanda, Burundi und Bosnien. Die Menschheit sei offenbar nicht dazu in der Lage, "dem Vergießen von unschuldigem Blut ein Ende zu setzen", sagte Franziskus.

Nicht das erste Mal

Das türkische Außenministerium warnte den Vatikan davor "Schritte vorzunehmen, die irreparable Konsequenzen für unsere Beziehungen haben könnten." Vom Pontifikat werde erwartet, zum Weltfrieden beizutragen, statt Feindseligkeiten über historische Ereignisse zu schüren, hieß es weiter. Der Vatikan hatte am Sonntag nicht das erste Mal von "Genozid" gesprochen. Im Jahr 2006, als Jorge Mario Bergoglio noch Erzbischof von Buenos Aires war, hatte er die Türkei aufgefordert, die Massaker als "das größte jemals von der ottomanischen Türkei begangene Verbrechen gegen das armenische Volk und die Menschheit insgesamt" anzuerkennen.

Ankara legte daraufhin Beschwerde ein und zitierte den Apostolischen Nuntius ins Außenministerium. Als Franziskus die Gräueltaten an den Armeniern knapp drei Monate nach seinem Amtsantritt als Papst, Anfang Juni 2013, schon einmal als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" bezeichnete, protestierte die Türkei ebenfalls offiziell. "Absolut inakzeptabel" sei diese Äußerung, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums in Ankara. Wieder wurde der vatikanische Botschafter zu einem Gespräch zitiert. Der Begriff war nicht in einer offiziellen Stellungnahme gefallen, sondern im persönlichen Gespräch mit Nachfahren von Opfern der Vertreibung am Rande einer Privataudienz für Nerses Bedros XIX. (Tarmouni) im Vatikan. Bekannt wurde die Äußerung durch einen Mitschnitt des vatikanischen Fernsehens.